Staat und Bürger im 21. Jahrhundert, Leipzig, Runde Ecke, 13. April 2010
- Übersetzung:
- English original
Es gilt das gesprochene Wort!
Staat und Bürger im 21. Jahrhundert
Leipzig, Runde Ecke
13. April 2010
Botschafter Philip D. Murphy
Herr Hollitzer,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
es ist mir eine Freude, wieder in Leipzig und wieder in diesem Museum zu sein. Das erste Mal war ich als Botschafter am 9. Oktober 2009 in Leipzig. Ich fühlte mich geehrt, dabei zu sein und die friedliche Revolution und die Errungenschaften der Bürger der DDR zu feiern. Sie kamen 1989 in Leipzig zusammen, um ihrer Unzufriedenheit mit dem SED-Regime Ausdruck zu verleihen. Wir alle wissen, was dann geschah. Als Folge ihres mutigen Handelns wurde die Regierung gestürzt und in Europa brach ein neues Zeitalter an.
An dieser Stelle
möchte ich den Bürgern Polens, der Familie Kaczynski und den Angehörigen
aller Menschen, die am Samstag in dem schrecklichen Flugzeugabsturz
ihr Leben verloren haben, mein Beileid bekunden. Präsident Kaczynski
war ein Verfechter der Demokratie gegen ein unterdrückerisches Regime,
ein Mann, dessen persönliche Reise ihn von einer Danziger Werft in
die Präsidentschaft über ein freies Volk führte. An der Seite von
Präsident Kaczynski und seiner Frau starben Politiker aus allen Parteien
des politischen Spektrums, Frauen und Männer, die den demokratischen
Wandel in Polen nach 1989 prägten und beschleunigten.
Es war genau
diese Art von Engagement für die Freiheit und die Menschenrechte, das
meinen Besuch vergangenen Oktober so einprägsam machte. Damals gab
Herr Hollitzer mir und Generalkonsulin Brucker eine private Führung.
Dieser Besuch hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Natürlich
hatte ich schon von der Stasi gehört, aber nach dem Besuch war mir
viel klarer, welchen Mut die DDR-Bürger bewiesen haben, als sie die
friedliche Revolution einleiteten. Ich erfuhr auch, wie viel Mühe und
Ressourcen darauf verwendet wurden, die Aktivitäten und das Leben der
Bürger zu überwachen, aufzunehmen und zu dokumentieren. Es ist unmöglich
für mich, wirklich zu verstehen, wie es war, in der DDR zu leben, aber
mein Besuch vergangenen Herbst hat mir ein starkes Gefühl dafür vermittelt,
wie vehement sich der Staat in das Leben seiner Bürger eingemischt
hat und zu wie viel Misstrauen das geführt haben muss.
Die von der
Stasi genau von diesem Gebäude ausgehende Überwachung ging über die
Unterdrückung von Widerspruch hinaus. Die Regierung fühlte sich nicht
durch Gewalttaten oder einen organisierten Aufstand bedroht. Am meisten
hatte sie vor Ideen Angst – und vor den eigenen Bürgern. Diese Art
von Unterdrückung war möglicherweise die traurigste Wirkung der Stasi
auf die ostdeutsche Gesellschaft, weil sie so allgegenwärtig war. Bundeskanzlerin
Merkel sprach bei einer Reihe von Anlässen darüber, welche Chancen
vertan werden, wenn eine Gesellschaft auf Angst und nicht auf Freiheit
fußt. Als sie vergangenen November vor dem US-Kongress sprach, erinnerte
sie sich beispielsweise an ihre Begeisterung für das Konzept des amerikanischen
Traums – die Möglichkeit, durch die eigenen Bemühungen etwas im
Leben zu erreichen. Ich hatte die Ehre, sowohl bei ihrer Rede im Kongress
als auch bei ihrem Gespräch mit Präsident Obama im Weißen Haus dabei
zu sein. Auch diese Reise hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Am eloquentesten
beschrieb Bundeskanzlerin Merkel ihre persönlichen Erfahrungen aber
im Januar auf dem 70. Geburtstag von Joachim Gauck. “Ich habe gelitten
darunter”, sagte sie, “dass man niemals an die Grenzen seiner Möglichkeiten
gehen konnte, weil immer der Staat davor war.”
Der Staat konnte
jedoch den menschlichen Geist und letztendlich den freien Austausch
von Ideen nicht gänzlich unterdrücken. Die Stasi setzte damals moderne
Technologien ein, um Bürger und Besucher zu überwachen. Dabei hatte
sie nur ein Ziel: den Fortbestand der Macht der SED zu sichern. Aber
die Geschichte zeigt, dass Menschen ohne die demokratischen Mechanismen,
die es ihnen erlauben, an den staatlichen Entscheidungen teilzuhaben,
keine andere Wahl haben, als zu demonstrieren. Und das taten sie –
das taten Sie – im Juni 1953, als das Fass überkochte und sich die
Arbeiter, das vermeintliche Fundament des SED-Systems, gegen nicht hinnehmbare
wirtschaftliche Maßnahmen erhoben – und 1989, als Sie im eigenen
Land das Mitspracherecht wiedererlangten. Das war zweifelsfrei eine
der wichtigsten Entwicklungen des 20. Jahrhunderts.
Heute sind dank Ihrer Mühen Demokratie und Meinungsfreiheit wieder für alle Deutschen Grundpfeiler der deutschen Gesellschaft. Diese Rechte wurden schwer erkämpft und es ist richtig, dass es andauernde und heftige Diskussionen gibt, wenn sich eine Bedrohung für diese Rechte abzeichnet. Das erwartet die Demokratie und die Bürgergesellschaft von ihren Bürgern. Wenn wir über die gemeinsamen Werte und Ziele unserer beiden Länder sprechen, läuft letztendlich alles auf diese Achtung der Demokratie und des menschlichen Geistes hinaus. Soviel weiß ich, auch wenn die verschlungenen Pfade der Geschichte, die uns zu diesen gemeinsamen Werten geführt haben, sehr unterschiedlich waren. Die Geschichte der Vereinigten Staaten kreist seit jeher um das Versprechen von Freiheit und Gleichheit. Seit mehr als zweihundert Jahren versuchen wir, eine vollkommenere Union aufzubauen, eine hoffnungsvollere Welt zu ermöglichen. Das bedeutet nicht, dass wir keine Fehler gemacht haben. Es hat Zeiten gegeben, in denen unsere Maßnahmen in unserem Land und auf der Welt nicht unseren besten Absichten entsprochen haben. Es hat auch Zeiten gegeben – und wird sie auch in Zukunft geben – in denen Deutschland und andere Länder in Europa und auf der Welt mit den von uns unternommenen Schritten nicht einverstanden waren. Am Anfang meiner Rede habe ich ja gesagt, wie schwierig es für mich war, mir vorzustellen, wie das Leben in der DDR war. Genauso kann ich mir vorstellen, dass es manchmal schwierig sein kann, sich vorzustellen, wie Amerika und die Amerikaner ticken.
Die Diskussion über die Gesundheitsreform in den Vereinigten Staaten verdeutlicht das. Die Reform des Gesundheitssystems ist in den Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten eine wichtige politische Frage. Vielleicht haben Sie die verschiedenen Argumente verfolgt, die für und gegen das neue Gesetz angeführt wurden, und haben sich gefragt, wie übrigens viele Amerikaner auch, was man denn gegen eine Krankenversicherung haben kann. Es spielten eine ganze Reihe von Fragen in der Debatte eine Rolle – Fragen, die auch hier in Deutschland gestellt werden. Wie teuer wird die Krankenversicherung für die Regierung? Wie teuer wird sie für die Arbeitgeber? Und, was am wichtigsten ist, was kostet sie den Einzelnen? Welche Regulierung wird es für Dienstleister im Gesundheitswesen und Krankenversicherungen geben? Aber ich denke, der interessanteste Teil der Debatte kreiste um die Frage, ob eine vorgeschriebene Krankenversicherung einen Eingriff der Regierung in das Leben der Bürger darstellt. Einige Gegner sagten, dass nirgendwo in der US-Verfassung stehe, dass eine Krankenversicherung ein absolutes Recht ist - und dass die Verfassung an keiner Stelle vorschreibe, dass jeder Bürger eine Krankenversicherung abschließen müsse, genauso wenig, wie er ein anderes Produkt oder eine Dienstleistung erwerben müsse. Andere argumentierten in die andere Richtung. Einer der eloquentesten Befürworter der Gesundheitsreform war der verstorbene Senator Edward Kennedy. Für Senator Kennedy war die allgemeine Krankenversicherung für alle Bürger das große Ziel seines Lebens. In einem Brief an Präsident Obama im vergangenen Mai, kurz vor seinem Tod, bezeichnete er dieses Ziel als "großes unvollendetes Vorhaben in unserer Gesellschaft." Senator Kennedy war der Meinung, dass Gesundheitsfürsorge in der Gesellschaft kein Privileg sein sollte. Er war der Meinung, und an dieser Stelle möchte ich noch einmal aus seinem Brief an Präsident Obama zitieren: "Wir sind vor allem mit einer moralischen Frage konfrontiert. Es stehen nicht nur politische Details auf dem Spiel, sondern grundlegende Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit."
Für die Vereinigten Staaten war der Weg zur Gesundheitsreform lang und steinig. Die Debatte war manchmal laut und ging durcheinander, aber das gehört nun einmal zur Demokratie. Winston Churchill sagte: "Demokratie ist die schlechteste Regierungsform – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind." Und kein anderes Thema als soziale Gerechtigkeit und die ihr zugrunde liegenden Fragen nach den Rechten, Privilegien und Pflichten des Bürgers sollten wir lautstarker diskutieren. In den Vereinigten Staaten konzentrierte sich diese Diskussion in den vergangenen Monaten auf die Gesundheitsreform. Hier in Deutschland gab Hartz IV Anlass zu ähnlichen Diskussionen.
Auf beiden Seiten des Atlantiks findet noch eine andere Debatte über die Rechte und Pflichten des Einzelnen in der Gesellschaft statt. Dabei geht es um das Recht auf die Achtung der Privatsphäre. Der Schutz der Privatsphäre ist ein Grundpfeiler der amerikanischen Gesellschaft. Er lässt sich bis zu den ersten Siedlern und der Mentalität der ersten Pioniere zurückverfolgen, die sich an der Grenze zum "Wilden Westen" wähnten. Eigenständigkeit, Individualismus, ein gesundes Maß Skepsis gegenüber der Regierung – das sind Eigenschaften, auf die die Amerikaner stolz sind. Dem Schutz der Privatsphäre ist während der gesamten amerikanischen Geschichte ein hoher Stellenwert eingeräumt worden. Er geht zurück auf die Bill of Rights, dem vierten Zusatzartikel der Verfassung. 1928 schrieb Louis Brandeis, Richter am Obersten Gerichtshof, in einem Grundsatzurteil im ersten Abhörfall in den Vereinigten Staaten: "Die Väter unserer Verfassung wollten Bedingungen sichern, die das Streben nach Glück ermöglichen. . . Sie leiteten daraus das Recht ab, in Ruhe gelassen zu werden – das umfassendste Recht, das zivilisierte Menschen am meisten schätzen." Dieses Dokument und weitere rechtliche Entscheidungen schufen einen Rahmen, der missbräuchliche staatliche Eingriffe in die Privatsphäre seiner Bürger verhinderte; einen Rahmen, der durch viele Gesetze in vielen rechtlichen und wirtschaftlichen Bereichen erweitert wurde.
Kurz gesagt: Der Schutz der Privatsphäre ist in den Vereinigten Staaten so alt wie das Land selbst und seine Verfassung. Er ist auch so jung wie das neue Jahrtausend. Jahre vor seiner Berufung an den Obersten Gerichtshof beschrieb Louis Brandeis im Harvard Law Review seine Bedenken angesichts der neuen Technologie der "Schnappschuss-Fotografie" – einer Technologie, die es Zeitungen ermöglichte, Bilder von Personen zu veröffentlichen, ohne deren Zustimmung einzuholen. Heute, mehr als einhundert Jahre später, können Computernetzwerke Daten von verschiedenen Quellen zusammenfügen, organisieren, analysieren und verbreiten, und zwar mit einer Geschwindigkeit und Genauigkeit, die sich Louis Brandeis, der vor seiner Tätigkeit am Obersten Gerichtshof als "Bürgerrechtsanwalt" bekannt war, niemals hätte vorstellen können.
Die Technologien des 21. Jahrhunderts bieten ungeahnte neue Möglichkeiten. Die Auswertung größerer Datenmengen, Cloud Computing, soziale Netzwerke, die Steuerung von Internetwerbung auf Basis von Nutzerdaten, mobiles Marketing, das Sammeln und die Verwendung von Informationen durch Einzelhändler, Datenbroker, durch Fremdanwendungen, ganz zu schweigen von Regierungen, bieten enorme neue Möglichkeiten. Diese Instrumente können zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten, im Kampf gegen den Klimawandel und Epidemien eingesetzt werden, um eine Welt ohne Atomwaffen zu ermöglichen und um nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu begünstigen, die Menschen aus Armut befreit. Indem die Menschen Zugang zu Wissen und potenziellen Märkten bekommen, können Netzwerke dort Chancen schaffen, wo es vorher keine gab. Seit in Kenia Landwirte damit begonnen haben, mobile Technologien für ihre Bankgeschäfte einzusetzen, ist ihr Einkommen um 30 Prozent gestiegen. In Bangladesch nehmen mehr als 300.000 Menschen über ihre Mobiltelefone an Englischkursen teil. Im Afrika südlich der Sahara nutzen Unternehmerinnen das Internet, um Zugang zu Mikrokrediten und den globalen Märkten zu erhalten.
Wir haben ja gerade über das Gesundheitssystem gesprochen. Über neue Informationstechnologien erhalten Ärzte unterwegs online Zugang zu Anwendungen und elektronisch gespeicherten Krankenakten, was zu einer Verringerung der Kosten im Gesundheitswesen führt. Neue Informationstechnologien ermöglichen es uns, Lehrer mit Instrumenten auszustatten, die Klassenzimmer in noch lebendigere Orte verwandeln. Regierungsbehörden müssen weniger Zeit und Steuergelder für administrative Vorgänge aufwenden und können mehr Zeit in die Bereitstellung von Dienstleistungen für die Bürger investieren. Neue Technologien verändern auch die Art und Weise, wie Einzelpersonen miteinander interagieren. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage zeigt, dass 84 Prozent der Amerikaner E-Mails schreiben und lesen, 57 Prozent nutzen soziale Medien zum Speichern oder Austauschen von Informationen und 33 Prozent speichern Fotos online. Diese neuen Technologien führen jedoch dazu, dass Bedenken bezüglich des Datenschutzes eine ganz neue Dimension annehmen. Obwohl Mark Zuckerman, der Gründer von Facebook, kürzlich sagte, Datenschutz sei "nicht mehr länger eine soziale Norm", zeigen Umfragen, dass die Amerikaner den Datenschutz weiterhin als sehr wichtig einstufen. Die Herausforderung liegt darin festzustellen, wie Datenschutz am besten gewährleistet werden kann, während gleichzeitig technische Innovationen gefördert werden.
Um ehrlich zu sein, waren es jedoch die Anschläge vom 11. September
2001, die die Debatte über die Privatsphäre und den Datenschutz zu
einem Thema dieses Jahrtausends werden ließen. Der 11. September markierte
den Beginn eines neuen Zeitalters. Jeder von uns, als Privatperson und
als Bürger einer Demokratie, wird von Gruppen wie der Al Kaida bedroht.
Das Ziel dieser extremistischen Gruppen ist die Einschüchterung –
das Terrorisieren – moderner Gesellschaften und letztendlich ihre
Destabilisierung und Zerstörung, um sie dann durch Gesellschaften zu
ersetzen, die ihrer besonderen Sicht der Welt entsprechen. Ihre Strategie
ist Terrorismus, primitiv und einfach, extreme Gewalt, unvorhersehbar
und willkürlich, wobei jeder einzelne von uns zu einem Ziel und zum
Opfer werden kann. Wir konnten im Fernsehen oder vielleicht ganz direkt
und viel persönlicher erleben, wie sie vorgehen – am 11. September
in meinem Land, später auch in Großbritannien und Spanien, wo unbarmherzig
Anschläge auf U-Bahnen und Züge verübt wurden. Wir haben gesehen,
wie sie in Deutschland vorgegangen wären, wo ähnliche Pläne
für Anschläge aufgedeckt und die mutmaßlichen Drahtzieher vor Gericht
gestellt wurden. Wir sind uns leider der Tatsache bewusst, dass uns
diese Bedrohung noch lange begleiten wird. Dies ist eine Zeit, die neue
Instrumente für den Austausch von Daten erfordert, damit wir in der
Lage sind, derartige Angriffe zu verhindern. Das Internet bietet zunehmend
einfache und zugängliche Kommunikationswege, die sowohl zum Nutzen
der Menschen als auch für kriminelle Zwecke und terroristische Aktivitäten
eingesetzt werden können. Terroristen und Extremisten haben sich im
Internet etabliert und nutzen es, um neue Mitglieder zu rekrutieren,
Propaganda zu verbreiten, Gelder über Landesgrenzen hinweg zu beschaffen
und Anschläge überall auf der Welt zu planen.
Fragen des Datenschutzes, die mit der Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit einhergehen, gehören zu den wichtigsten Fragen auf der deutsch-amerikanischen bilateralen Agenda. Das Fazit aus diesen Gesprächen lautet, dass der Schutz unserer Bürger und der Datenschutz keine sich gegenseitig ausschließenden Ziele sind.
Das Weiße
Haus ist angesichts andauernder terroristischer Pläne gegen die Vereinigten
Staaten und europäische Länder und Bürger sehr besorgt. Präsident
Obama hat persönlich große Bedenken, was die ernsten sicherheitspolitischen
Konsequenzen der Aussetzung des Programms zum Aufspüren der Finanzierung
des Terrorismus angeht. Die Regierung setzt sich dafür ein, das Programm
in vollem Umfang wieder aufzunehmen. In den vergangenen Monaten habe
ich häufig mit Vertretern der deutschen Regierung über dieses Programm
des US-Finanzministeriums gesprochen, das auch als SWIFT-Abkommen bekannt
ist. Ich habe mich mit Vertretern des Privatsektors getroffen, und wir
haben darüber gesprochen, wie Fragen des Datenschutzes die Geschäftsaktivitäten
hier in Deutschland beeinflussen. Nach diesen Gesprächen war ich sogar
noch mehr von der Notwendigkeit angemessener Datenschutzmaßnahmen überzeugt,
die es Regierungen ermöglichen, Informationen zur Terrorismus- und
Kriminalitätsbekämpfung auszutauschen. Darüber hinaus war ich nach
den Gesprächen davon überzeugt, dass viele der scheinbaren Meinungsverschiedenheiten
zwischen Europa und den Vereinigten Staaten bezüglich des SWIFT-Abkommens
hauptsächlich daher rühren, dass es mit Blick auf die Datenschutzregelungen
der jeweils anderen Seite Missverständnisse gibt. Präsident Obama
fühlt sich grundlegenden Datenschutzprinzipien ernsthaft verpflichtet
und wir machen unseren europäischen Gesprächspartnern klar, dass wir
ihre Bedenken erst nehmen und nach praktikablen Lösungen suchen. Ich
hoffe, dass wir die Debatte darüber, wer die besseren Regelungen zum
Datenschutz hat, hinter uns lassen können. Wir müssen zu einem Meinungsaustausch
kommen, der anerkennt, dass, obwohl die europäischen und das amerikanische
System zum Datenschutz unterschiedlich strukturiert sind, beide wirksamen
Datenschutz bieten und unser letztendliches Ziel das gleiche ist.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass immer ein großes Maß an Gemeinsamkeiten bestand, wenn sich in den vergangenen Jahren Fachleute zusammengesetzt haben, um diese Themen zu besprechen. Diese Gespräche haben jedoch auch gezeigt, dass ein erweitertes System der gegenseitigen Kontrollen erforderlich ist, um den Austausch von Informationen zu überwachen und zu regulieren. Das ist zweifelsohne und verständlicherweise eine Lektion, die wir aus der europäischen Geschichte gelernt haben. In der DDR gab es – und das habe ich vergangenen Oktober in diesem Museum erfahren – beispielsweise keine demokratischen Institutionen und Kontrollgremien, die gewährleisteten, dass die Meinungsfreiheit geschützt wird und Programme zum Erheben von Daten angemessen waren und so umgesetzt wurden, dass die Bürgerrechte gewahrt bleiben. In den Vereinigten Staaten entstand im Lauf der Zeit ein vernetztes und vielschichtiges System der Kontrolle, um Datenschutz zu gewährleisten, das in Einklang mit unserer Verfassung und der Bill of Rights steht. Das Ergebnis ist, dass in den Vereinigten Staaten nicht nur ein einzelner Akteur für die Überwachung der staatlichen Datenschutzmaßnahmen zuständig ist, sondern Datenschutzbeauftragte, Generalinspekteure, das Government Accountability Office und ein sehr unabhängiger Kongress, um nur einige zu nennen. Wir haben nicht nur ein Datenschutzgesetz sondern eine Reihe von Gesetzen, darunter auch das Datenschutzgesetz aus dem Jahr 1974, das E-Government-Gesetz aus dem Jahr 2002, das Gesetz über Computerbetrug und –missbrauch und weitere, die gemeinsam sicherstellen, dass der Staat den Schutz persönlicher Daten gewährleistet. Diese Sammlung von Gesetzen und politischen Regelungen unserer Bundesbehörden stellt sicher, dass das Erheben von Daten transparent ist, dass Daten vor Diebstahl oder Verlust gesichert werden, dass das Sammeln von Daten einer angemessenen Kontrolle unterliegt und dass jede Einzelperson, auch wenn sie keine US-Staatsbürgerschaft hat, Zugang zu wirksamem Rechtsschutz fordern und erhalten kann, wenn sie der Auffassung ist, dass ihre Daten missbraucht werden.
Es gibt überall auf der Welt eine ernsthafte Gefahr für offene Gesellschaften.
Die potenzielle Tragweite eines Angriffs auf ein Flugzeug macht es beispielsweise
erforderlich, dass die Daten von Fluggästen überprüft werden um sicherzustellen,
dass wir niemandem an Bord eines Flugzeugs lassen, der einen Anschlag
plant. Die Sicherheitskontrollen an Flughäfen haben zum Ziel, alle
Flureisenden vor potenziellen Sicherheitsgefahren zu schützen und entstehenden
terroristischen Gefahren wirksam vorzubeugen. Diese Bestrebungen müssen
andauern. Vergangene Woche wurden beispielsweise neue Maßnahmen eingeführt,
um Notfallmaßnahmen zu ersetzen, die unmittelbar nach dem vereitelten
Anschlag am ersten Weihnachtsfeiertag wirksam wurden. Diese Maßnahmen
sehen ein vielschichtiges System der per Stichprobenprinzip durchgeführten
Sicherheitskontrollen vor und sind darauf ausgerichtet, an nachrichtendienstliche
Erkenntnisse über potenzielle Bedrohungen angepasst zu werden. Sie
wurden nach einem behördenübergreifenden Überprüfungsprozess in
Absprache mit Nachrichtendiensten und Strafverfolgungsbehörden entwickelt
– sowie mit Anregungen von Partnern in Regierungen und Wirtschaft
auf der ganzen Welt. Nur gestärkte Gefährderlistensysteme und flexiblere
Sicherheitsprotokolle, die an die neuesten, den Behörden zur Verfügung
stehenden Daten angepasst sind und auf nachrichtendienstlichen Erkenntnissen
über Bedrohungen in Echtzeit beruhen, können die Sicherheit der Fluggäste
gewährleisten. In den Vereinigten Staaten, aber auch in der Europäischen
Union ohne Grenzen gibt es ernsthafte Probleme durch grenzüberschreitende
Kriminalität. Wir wollen und wir müssen Straftätern den ungehinderten
Grenzübertritt erschweren, nicht erleichtern. Vergangenen Freitag traf
sich die US-Ministerin für innere Sicherheit, Janet Napolitano, im
Rahmen des amerikanisch-europäischen Treffens der Justiz- und Innenminister
in Madrid mit ihren europäischen Amtskollegen, um über gemeinsame
Maßnahmen zur Erhöhung des Informationsaustauschs, der Sicherheitsmaßnahmen
und die Stärkung der Kontrollen zu sprechen. Wichtige Partnerschaften
wie die zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union
haben zu einer engeren operativen Zusammenarbeit im Bereich der inneren
Sicherheit geführt und Bestrebungen bei der Terrorismusbekämpfung
und der Verfolgung transnationaler Kriminalität wie Menschenhandel
sowie andauernde Initiative für globale Cybersicherheit gestärkt.
In den Vereinigten
Staaten hat unser Bekenntnis zur Terrorismusprävention viel mit unserer
Liebe zur Freiheit und der Freizügigkeit, die wir genießen, zu tun.
Diese Freiheit wollen wir schützen. Die Behörden in den Vereinigten
Staaten haben kaum Befugnisse, Menschen aufzuhalten und aufzufordern,
sich auszuweisen. Im Gegensatz zu europäischen Ländern haben wir nicht
einmal einen nationalen Personalausweis. Hotels in den Vereinigten Staaten
können von ihren Gäste nicht fordern, einen Pass zur Kopie vorzulegen,
die sie dann in ihren Unterlagen ablegen. Sobald sie die Vereinigten
Staaten betreten, gibt es nur wenige Möglichkeiten, Menschen zu identifizieren
und zu finden. Der Grenzübertritt ist eine der wenigen Gelegenheiten
für unsere Behörden zu entscheiden, ob eine Person zur Einreise berechtigt
ist. Sobald jemand, der anderen Menschen Schaden zufügen will, eingereist
ist, ist es schwierig, diesen Fehler zu korrigieren.
Einige argumentieren,
dass die Terroristen gewonnen haben, wenn wir beim Schutz unserer Bevölkerung
nicht in der Lange sind, eine freie und offene Gesellschaft aufrechtzuerhalten,
in der unsere persönlichen Daten angemessen geschützt werden. Auf
lange Sicht können wir unsere Bürger nicht schützen, wenn wir uns
nicht auf die Kraft unserer grundlegendsten Werte besinnen. Diese Werte
stellen die Grundlage der Freiheit und Gerechtigkeit dar, die sowohl
Deutsche als auch Amerikaner für ihre Länder anstreben.
Daher sind Gespräche über dieses Thema an diesem Ort, in dieser Stadt so sinnvoll. Hier in diesem Gebäude war das Hauptziel all der komplizierten Apparate und der enormen menschlichen und materiellen Ressourcen, die die Stasi verschlang, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, dem vielleicht wichtigsten dieser Werte.
Mir wurde berichtet, dass zu DDR-Zeiten Menschen, die an diesem Gebäude vorbeigingen, automatisch zu flüstern anfingen. Wir lernen von diesem Gebäude und dem Museum, dass ungehinderte Kommunikation zwischen den Bürgern in einer Demokratie absolut notwendig ist. Das ist eine Lehre, die alle Amerikaner verstehen und würdigen. Es ist eine Lehre, die wir nicht vergessen werden, wenn wir mit unseren deutschen und europäischen Partnern zusammenarbeiten, um die Pläne von Terroristen zu vereiteln, die freie Gesellschaften zerstören wollen. Wir werden sicherstellen, dass unsere Gesellschaften frei und offen für alle Bürger bleiben. Unsere Werte und unsere Institutionen sind widerstandsfähiger als eine hasserfüllte, extremistische Ideologie. Das ist ebenfalls eine Lehre, die wir alle – Deutsche und Amerikaner – verstehen und würdigen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.