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31. Oktober 2007, von Jan Eric Hellbusch

Strukturelle Navigation: Beispiel der Gebrauchstauglichkeit

Über Barrieren im Netz.  Accessibility Blog Parade. 10.10. bis 11.11.2007

Nach dem ersten Eintrag auf dieser Accessibility Blog Parade am 10. Oktober 2007 zum Sinn der Barrierefreiheit gab es einige weitere Einträge in der Blogosphäre zum Thema. Einige teilweise namhafte BloggerInnen äußerten sich und referenzierten sogar diesen Beitrag. Allerdings fand ich, dass die wichtigste Aussage des Beitrags zum Begriff “Barrierefreiheit” geflissentlich übergangen wurde:

“Es handelt sich um eine Gebrauchstauglichkeit vor dem Hintergrund einer Behinderung.”

Es wurden Themen wie Moral, Barrierearmut und Ausgrenzung nicht behinderter Menschen thematisiert, was sicher nicht verwerflich ist, und doch eine gewisse Abgrenzung zumindest zu meinem Anliegen darstellt. Deshalb möchte ich ein kleines Beispiel bringen, um die Aussage zur Gebrauchstauglichkeit zu verdeutlichen.

Navigation auf standardkonformen Webseiten

Die meisten NutzerInnen werden eine Maus zum Navigieren durch das Web nutzen, aber manche sind auf die Bedienung mit der Tastatur angewiesen. Wie navigieren TastaturnutzerInnen im Web? Die erste richtige Antwort lautet: Mit der Tabulatorentaste. Wer das mal versucht, wird schnell feststellen, dass die Bedienung einer beliebigen Webseite mitunter beschwerlich sein kann oder unmöglich ist. Aber das ist hier nicht das Thema.

Gehen wir von einer standardkonformen Seite aus. Das HTML besteht aus Absätzen, Überschriften, Listen und einigen DIV-Elementen für das Layout. Auf die weiteren Elemente wie Links, Grafiken usw. brauchen wir hier nicht einzugehen, aber das Folgende ließe sich mit weiteren Erläuterungen auch auf solche Elemente beziehen.

Strukturelle Navigation

Eine Überschrift hat eine strukturierende Wirkung. Wir setzen solche Überschriften ein, um einen Artikel zu gliedern. Die Hauptüberschrift bekommt eine H1 und im Idealfall werden die nachfolgenden Überschriften hierarchisch untergeordnet, d. h. die Zwischenüberschriften erhalten H2 und weitere Untergliederungen H3 und H4.

Ein Screenreader-Nutzer kann nun durch Drücken einer einzelnen Taste direkt zur ersten Überschrift springen. In JAWS wäre das z. B. die Taste 1 um die erste H1 anzussteuern oder mit der generischen Taste H kann er einfach die nächste Überschrift anspringen. Ähnliche Mechanismen gibt es im Browser Opera (mit den Tasten S und D) und für Firefox gibt es entsprechende Plug-Ins, die aber meines Wissens noch nicht so ausgereift sind. Die zweite Antwort lautet also: “Man kann mit speziellen von der Zugangssoftware bereitgestellten Tasten navigieren.”

Im übrigen ist die strukturelle Navigation nicht auf Überschriften und Überschriftenebenen beschränkt: Neben Listenelementen, Tabellenelementen, Bildern oder besuchten und nicht besuchten Links, können gar einzelne DIV-Elemente angesteuert werden.

Erreichbarkeit von Seiten- und Navigationsbereichen

Besonders vorteilhaft ist das direkte Ansteuern von Überschriften, wenn vor dem Inhalt Kopfzeile und ein oder mehrere Navigationsbereiche sofort übersprungen werden können. Durch den klugen Einsatz von Überschriften können also TastaturnutzerInnen gezielt bestimmte Bereiche einer Seite erreichen.

WebdesignerInnen standardkonformer Webseiten sind schon längst dazu übergegangen, auch für Navigationsbereiche Überschriftenelemente einzusetzen, also z. B.

<h2>Navigation</h2>
[gefolgt von einer Linkliste]

Das ist gut und hilfreich.

Bestimmung der zusätzlichen Überschriften

Jetzt kann ein Tastaturnutzer mit entsprechender Zugangssoftware auch über die Überschriftenstruktur der Seite direkt zur Navigation springen ohne alle davorliegenden Links anzutabben. Aber es entsteht auch ein Problem oder genauer gesagt: Es entstehen mindestens zwei Probleme.

Problem 1: Wann fördern Überschriften die strukturelle Navigation?

Nachdem geklärt ist, für wen die Überschriften einen Nutzen stiften (ich lasse die effizienzsteigernden Aspekte für den Code-Monkey mal weg), lautet die erste zu beantwortende Frage: “Welche Navigations- und sonstigen Seitenbereiche brauchen denn überhaupt eine Überschrift?”

Zunächst sind es Linklisten wie eine Navigations- oder Fußleiste. Das eben aufgeführte Beispiel mit der Navigation erlaubt es, diese direkt über die Überschriftenstruktur zu finden. Diese Anforderung ergibt sich übrigens auch aus der Bedingung 13.6, der in Deutschland geltenden BITV. Das Tolle ist, wenn die Seite komplett mit Überschriften durchstrukturiert ist, dass die Navigation auf der gleichen Weise übersprungen werden kann:

<h2>Navigation</h2>
[gefolgt von einer Linkliste]
<h1>Inhaltliche Überschrift</h1>

Aber es sind auch Seitenbereiche mit Überschriften zu versehen, wenn es sich nicht um eine Linkliste handelt, etwa wenn unterschiedliche Inhalte auf zwei Spalten verteilt werden. Visuell ist die Trennung der Inhalte durch das Layout offensichtlich, aber in linearen Medien, wozu neben einem Screenreader auch mobile Geräte noch gelten, ist das Layout so nicht erkennbar. Mit Überschriften kann nicht nur eine Übersicht in solchen Medien geschaffen, sondern ebenfalls das Überspringen einer Spalte zur nächsten erlaubt werden. Diese Anforderung ergibt sich ebenfalls aus der BITV, nämlich Bedingung 13.8.

Problem 2: Wie sehen die Überschriftenebenen außerhalb des Inhalts aus?

Die zweite Frage, die sich aus dem Einsatz von Überschriften zur Navigation mit der Tastatur ableiten läßt, ist: “Welche Überschriftenebene(n) sollen denn für die strukturelle Navigation eingesetzt werden?” Es gibt hierfür leider keine eindeutige Antwort, aber doch einige Überlegungen:

  • Manche Anwendungen wie Screenreader lassen das direkte Ansteuern einer Überschriftenebene zu. Wenn die H1 für die inhaltliche Überschrift eingesetzt wird und wir davon ausgehen, dass ein Nutzer in vielen Fällen auch direkt zum Inhalt will, dann sollte vor der inhaltlichen H1 keine weitere H1 vorkommen.
  • Die meisten Inhalte sind gegliedert und die Navigations- und sonstigen Seitenbereiche sind linearisiert sowohl vor als auch nach dem Inhalt verteilt. Eine Hierarchie, die in einem Outline durchweg logisch erscheint (eine H1 mit untergeordneten Überschriften für Inhalte sowie Seiten- und Navigationsbereiche) wird mit der ersten Überlegung kaum möglich sein. Aber das Web ist kein Buch: Im Gegensatz zum Buch ist auf einer Webseite mehr als der Inhalt auf einer einzelnen Seite zu finden. Also sollten bitte schön auch nicht die gleichen Anforderungen an eine Webseite gestellt werden! Die Navigation, die Zusatzinformationen, die Werbung … sie stellen alle andere inhaltliche Ebenen dar als der Artikel, die Anwendung, die Nachricht.
  • Für das gezielte Ansteuern von einzelnen Navigations- und Seitenbereichen ist es wichtig, dass die Überschriften auf einer gleichen Ebene gelegt sind, denn nur dann können sie gezielt angesteuert werden mit einem minimalen Lernaufwand. Wenn die H1 ausgeklammert ist (s. erste Überlegung) dann bleiben H2 bis H6. Das gilt dann, wenn die Überschriften sichtbar sind oder - wenn sie speziell für blinde NutzerInnen berücksichtigt wurden - auch unsichtbar sind.

Persönlich ziehe ich die H6 für die strukturelle Navigation vor. Das hat auch bestimmte Gründe:

  • Die H6 wird im Inhaltsbereich eigentlich nie benutzt. Es gibt deshalb keine Verwechselungsgefahr. Die H6 ist klar außerhalb der inhaltlichen Hierarchie.
  • H6 erinnert an F6. Na und? Naja, zumindest ist in vielen Windows-Anwendungen die F6-Taste dafür bestimmt, zwischen einzelnen Ansichten zu wechseln, was in Microsoft Word oder im Browser gilt. Die Eselsbrücke hilft verstehen.

Wichtig ist allerdings, dass die Navigations- und Seitenbereiche mit einer einheitlichen Überschriftenebene versehen werden. Das könnte dann wie folgt aussehen:

<h6>Seitenübergreifende Links</h6>
[gefolgt von einer Linkliste zu Hilfe, Kontakt ... und/oder einer Suchbox]
<h6>Navigation</h6>
[gefolgt von einer Linkliste mit den inhaltlichen Themen des Webauftritts]
<h6>Inhalt</h6>
<h1>Inhaltliche Überschrift</h1>
[gefolgt von dem gegliederten Inhalt]
<h6>Fußleiste</h6>
[gefolgt von einer Linkliste]

Resümee

Der Einsatz bestimmter HTML-Elemente für den Aufbau einer Seite ist nicht alleine Sache des Webentwicklers. Natürlich kann eine Systematik helfen, das “Gewicht” der CSS-Datei zu minimieren, aber es muss auch an den Nutzer gedacht werden. Diese Art der Gebrauchstauglichkeit ist vielleicht anders als für den mausnutzenden Bildschirmnutzer, aber sie ist eben die Gebrauchstauglichkeit vor dem Hintergrund einer speziellen Behinderung.

In den Richtlinien steht übrigens nicht, dass die strukturelle Navigation mit Überschriften realisiert werden soll, sondern es wird lediglich die Bezeichnung von Informationsblöcken und - bei Linklisten - die Überspringbarkeit gefordert. Und das ist der Hintergrund der eingangs getroffenen Aussage: Die technischen Richtlinien zur Barrierefreiheit stellen mitunter unklare Regeln auf, die aber erst durch Nutzertests ein brauchbares Ergebnis für die Gruppe der (hier von der Tastatur abhängigen) NutzerInnen liefern können.

12 Reaktionen zu “Strukturelle Navigation: Beispiel der Gebrauchstauglichkeit”

  1. MAIN_web » Blog Archiv » Pfiffige Überschriften

    [...] etwas so Kurzes und Harmloses wie Überschriften. Hr. Hellbusch behandelt ihre Funktion zur strukturellen Navigation hier im letzten MAIN_blog Artikel. Auch das Access-for-all-Blog schreibt ausführlich [...]

  2. Warum tun wir uns mit der Barrierefreiheit so schwer? « Kulturmanagement

    [...] versteht. Wer wissen möchte, wie man sie im Internet umsetzen kann, dem sei sein Beitrag “Strukturelle Navigation: Beispiel der Gebrauchstauglichkeit” [...]

  3. Rainer Schlegel

    Ich gebe zu, beim ersten Lesen hat’s mich gegruselt. Eine h6 vor der ersten h1 widerspricht meinem tiefsten Hierarchieempfinden. Dein Einwand, eine Website sei kein Buch, kann ich aber nachvollziehen. (In gewisser Weise ist sie es aber doch, wenn sie auch das Inhaltsverzeichnis auf jeder Seite wiederholt, um es mal unzulässig zu vereinfachen.)

    Vielleicht zeigt sich in Deinem Beitrag aber ein grundlegendes Problem des modernen Webs. Wir haben für moderne Ansprüche nicht genügend Semantikelemente. Auch wenn vom technischen Aspekt der Nutzbarkeit mit Tastaturkürzeln alles für den Einsatz von Überschriftenelementen spricht, so ist es semantisch vielleicht verkehrt, Elemente außerhalb des Hauptinhalts mit h-Elementen zu gruppieren. Fehlen uns nicht eigentlich Elemente wie ein n für Navigationen, ein c für Spalten (englisch: column) und so weiter?

    Wir arbeiten im heutigen Web mit den Elementen aus der Wiege des Netzes, fahren quasi Porsche mit Holzspeichenrädern. Ich glaube, die Semantik hinsichtlich der Benutzbarkeit einer Seite ist bei allen Diskussionen zu wenig berücksichtigt worden. So wie wir auch unermüdlich den Einsatz von Definitionslisten für Bilder mit Bildunterschriften diskutieren. Es sind einfach nicht genug Strukturierungselemente da und wir versuchen, mit den gegebenen Mitteln das Beste draus zu machen. Weil lange Zeit auch keine erkennbare Notwendigkeit bestand, Navigationselemente zu gruppieren! Eine Aneinanderreihung von a-Elementen reichte aus.

    Der Wunsch nach einer besseren Strukturierung einer modernen Seite erfordert zwangsläufig auch eine bessere Ausstattung unseres Werkzeugkastens. Webauftritte sind heutzutage nunmal wesentlich komplexer als zu den Anfangszeiten bei Tim Berners-Lee.

  4. Jan Eric Hellbusch

    @rs

    Dass es an HTML-Elementen fehlt, ist gar keine Frage, wobei ich weniger den visuellen Ansatz (c für column …), sondern eher einen funktionalen Charakter (n für navigation …) bevorzugen würde. Wie auch immer. Man kann auch sagen, die Screenreader oder andere tastaturorientierte Software sollten selbstständig Linkgruppen oder große fette Text suchen und daraus mit der Tastatur erreichbare Objekte machen. Für den jetztign Zeitpunkt geht das aber zu weit, meine ich.

    Eigentlich würde das Problem auch gelöst werden, wenn es ein generisches h (heading) gäbe.

  5. Tobias

    Super Beitrag *thumbs up*. Allerdings wiederspricht das setzten von Überschriften außerhalb des Contents meiner Vorstellung von Semantik doch ganz schön. Die Auszeichnungen H1-H6 sind doch dazu da eine Überschriftenhierarchien zu bilden und nicht um die Navigation zu markieren. Hierfür haben wir ja hoffentlich bald ein spezielles Elemente.

    Eine weitere, meiner Meinung nach falsche, Anwendung ist es wenn Inhalte wie “Suche”, “Neuste Kommentare” oder auch das Logo mit Image-Replacment, also alles was nicht zum eigentlichen Content gehört, als Überschriften gekennzeichnet werden.

  6. sprungmarker » Studie: Überschriften und Barrierefreiheit - Agenturen | Artikel von Sylvia Egger

    [...] haben Überschriften eine ganz klar strukturierende Wirkung (Hellbusch, Jan Eric: Strukturelle Navigation, MAIN_blog) und deren strukturelle Reihenfolge sollte eingehalten werden. Bis hierher wird mir [...]

  7. sprungmarker » Studie: Überschriften und Barrierefreiheit - Einleitung | Artikel von Sylvia Egger

    [...] haben Überschriften eine ganz klar strukturierende Wirkung (Hellbusch, Jan Eric: Strukturelle Navigation, MAIN_blog) und deren strukturelle Reihenfolge sollte eingehalten werden. Bis hierher wird mir [...]

  8. sprungmarker » Studie: Überschriften und Barrierefreiheit - Initiativen | Artikel von Sylvia Egger

    [...] haben Überschriften eine ganz klar strukturierende Wirkung (Hellbusch, Jan Eric: Strukturelle Navigation, MAIN_blog) und deren strukturelle Reihenfolge sollte eingehalten werden. Bis hierher wird mir [...]

  9. sprungmarker » Studie: Überschriften und Barrierefreiheit - Initiativen | Artikel von Sylvia Egger

    [...] haben Überschriften eine ganz klar strukturierende Wirkung (Hellbusch, Jan Eric: Strukturelle Navigation, MAIN_blog) und deren strukturelle Reihenfolge sollte eingehalten werden. Bis hierher wird mir [...]

  10. Björn Hahnefeld

    Gerade für Leute, die auf Webseiten ohne Maus surfen, gibt es auch noch die Access Keys, die relativ leicht einzubinden sind. Hierüber habe ich leider nichts gelesen (oder sind die doch nicht so State-of-the-Art?).

    Wichtig ist nicht nur die Gliederung der Menüpunkte, sondern auch der Inhalte. Auch hier finden sich die H1-H6 Befehle wieder. Eine Seite sollte ohne lange suchen zu müssen alle Informationen bereitstellen…

  11. Jan Eric Hellbusch

    @Björn

    Accesskeys sind zwar auch ein Thema zur Förderung der Tastaturnutzung, aber es handelt sich dabei nicht um eine strukturelle Navigation. Viele Mausnutzer vergessen, dass die Tastaturbedienung um ein vielfaches umständlicher ist, als mit der Maus. Deswegen müssen Elemente wie Überschriften oder Listen eingesetzt werden, um die Navigation über Strukturmerkmale zu erlauben. Bei Accesskeys handelt es sich um die alternative Möglichkeit, Links aufzurufen. Um Links ging es in diesem Beitrag aber gerade nicht.

  12. Auyana

    Da ich meine Seite auch barrierefrei gestalten möchte ist es in der Tat schwierig qualitativ hochwertige Informationen über Barrierefreiheit zu bekommen. Es ist aktuell durchaus der Fall, dass der Begriff “Barrierefreiheit” als Marketing-Argument eingesetzt wird ohne den Fokus auf die Gebrauchstauglichkeit bei einer Behinderung zu richten. Deshalb danke ich dem Autor dieses Beitrages hier darauf zu verweisen, worum es überhaupt geht.

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