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5. Januar 2009, von Maria Putzhuber

Ohrenschmaus

Am. 9. Dezember war die Preisverleihung für den Literaturpreis Ohrenschmaus 2008. Und erst im Jahr darauf berichten wir darüber. Das ist bestes Slow Blogging, obwohls bloß am Zeitmangel liegt. Der von Franz-Joseph Huainigg initierte Preis für Literatur von Menschen mit Lernschwierigkeiten wurde zum 2. Mal verliehen, im Museumsquartier, hochkarätig dekoriert mit Kulturministerin Schmied und Caritasdirektor Landau.

Ohrenschmaus ist ein sehr passender Titel. Die Siegertexte eignen sich in ihrer Lakonie und Einfachheit besonders gut zum Vorlesen und sind ein kulinarisches Vergnügen. Gleich kann man aber auch kritisch anmerken, dass bei diesem Preis wohl die netten, kindlichen Genusstexte, die nicht anecken und nicht wehtun, die rühren und Sympathie wecken, bessere Chancen haben.

Prosa

In der Kategorie Prosa wurde ein schräges Märchen ausgezeichnet: “Das große Herz” von Marek Janta: Der unheilbar kranke Prinz Marek muss einen Skikurs belegen, weissagt die Wahrsagerin des Königshauses, um gerettet zu werden. Bis zur glücklichen Eheschließung mit der schönen Nadja, dem Hotelierstöchterchen vom Skihotel Rumkokos, gibts große Verwirrungen, vertauschte Koffer, eine verlorene Krone, ein Safe voller Knallfrösche und eine böse Hexe, die sich vor Angst in Luft auflöst.

Lebensberichte

In der Kategorie Lebensberichte gewann Jürgen Bonner den Preis mit “Ich bin Jürgen, ein Genie”:
Sehr plastisch beschreibt er seinen Bruder und seine Eltern - völlig simpel, nur durch das, was sie so tun. Ebenso lakonisch anschaulich werden diverse sportliche Aktivitäten und ein Discobesuch:

“Da tanze ich mit den Frauen. Die blonden mit langen Haaren gefallen mir gut. Ich küsse ihre Hand. Ich bin verklemmt und verknallt und werde rot im Gesicht.”

In Sätzen wie diesem:

“Mit dem Flugzeug bin ich lange über die Welt geflogen. Brutal getraut hab ich mich.”

entsteht das Bild eines jungen Mannes, der sich durch seine Behinderung eine unverdorbene reine Lebensfreude und einen ganz klaren Blick bewahrt hat. Das kindlich sonnige Gemüt von geistig behinderten Menschen ist ein Klischee, aber in diesem Text wird es so erfrischend authentisch bedient, dass man es gerne glaubt.

Lyrik

Der Preis in der Kategorie Lyrik wurde nicht vergeben, weil das beinahe dafür nominierte Gedicht von Astrid Lindgren abgeschrieben wurde. Eine gute Jury ist aber belesen genug, um sich nicht austricksen zu lassen: lauter renommierte AutorInnen, teils mit Kinder- und Jugendbuchpreisen ausgezeichnet, mit Felix Mitterer als Schirmherr und die Preisträger des Vorjahres Andreas Burtscher und Herbert Offenhuber.

Kein Mitleidspreis

Der Anspruch des Ohrenschmaus ist auch, kein Ghettopreis zu sein, sondern tatsächlich Literatur auszuzeichnen. Was immer man unter Literatur versteht, eigenständige Texte jedenfalls, die einen besonderen Blickwinkel und besonderes Sprachgefühl zeigen, Texte, die von mehr als persönlichem Interesse sind und Interpretationsspielraum lassen.

Unweigerlich messe ich die Siegertexte an der hintersinnigen Kurzprosa des Südtiroler Dichters Georg Paulmichl. Er ist der einzige etablierte Dichter mit geistiger Behinderung, den ich kenne. An seinen Sprachwitz kommt bislang keiner heran.

Über 100 Texte wurden eingereicht. Mein Favorit “Hektik” von Arnold Kozak hats nur auf die “Ehrenliste” gebracht, aber das wunderbare Gedicht sei hier zur Gänze zitiert, weil sich sicher nicht nur Albert Einstein darin wiedergefunden hätte:

“One lives all one´s life under constant tension until it is time to go for good”

schreibt er in meinem Clokalender.

Hektik

Man nimmt sich was vor, es gelingt nicht
Hektik
Man kauft ein, das Geld ist zu wenig
Hektik
Man ist froher Dinge, erfährt etwas Ernstes
Hektik
Es ist ein Ausflug geplant, es schüttet
Hektik
Es wird etwas gesucht, es lässt sich nicht finden
Hektik
Es ist eine flotte Wanderung, man landet im Sumpf
Hektik
Es wird gegessen, man patzt sich an
Hektik
Man bastelt, es wird defekt
Hektik
Es läuft das Fernsehprogramm, Bildausfall
Hektik
Man braucht Trost, es kommt Stress
Hektik
Man will liebenswürdig sein, es kommt Brutalität
Hektik
Man träumt, die Wirklichkeit ist ernst
Hektik

Leiden an sich selbst

Viele Texte beschreiben das Leiden an den eigenen Einschränkungen, so z.B. das Gedicht “Ungeduld” von Günther Berger. Es wurde auf der Schleife der Zotter Schokolade abgedruckt, die für den Ohrenschmaus kreiert wurde:

“Schade, dass ich im Rollstuhl sitze
und ungeduldig warte,
dass etwas mit mir passiert.
Das macht mich Innen wütend
und Außen möchte ich mit dem Rollstuhl
gegen etwas fahren,
aber ich kann es nicht.
Ab und zu bin ich traurig
und mein Herz klopft.
Dann nehme ich den Zauberstab
und hole den Sportler zu mir.
Dann bin ich froh,
dass der Sportler in meinen Gedanken ist,
und so gute Tore schießen kann.
Dann wird die Mauer zum Tor.”

Bemerkenswert ist der Lebensbericht von Christian Aigner: “ÜBER DAS HARTE LEBEN, WENN MAN SICH NICHT TRAUT”, der einen eigenartigen Abstraktionsgrad erreicht.
Auf der Ehrenliste, der Shortlist für den Preis, findet sich auch der Text von Martin Grätzl. Er beschreibt nur in kurzen Sätzen ein paar Fotos und macht damit aber eine ganze Lebensgeschichte vorstellbar.

Authentische Texte mit Seele

Der größere Teil der eingereichten Texten ist nicht literarisch, sondern persönlich, alltagssprachlich, eher Kunstherapieprodukt als Kunst, auch einfach Zeugnis der Behinderung seiner AutorInnen. Es ist aber trotzdem interessant, diese Texte, besonders die Lebensberichte, zu lesen. Man erfährt viel über die Realität und Wahrnehmungswelt von Menschen mit Lernschwierigkeiten, von schwierigen Lebensläufen und durch die Behinderung geprägten Familienverhältnissen, vom Leben und Arbeiten in geschützen Werkstätten, in Heimen und betreuten Wohnungen.

Spannend fand ich z.b. die wilde Lebensgeschichte von Oswald Föllerer oder auch die Lebensberichte von Maria Altenberger, Andrea Hauck, Brigitte Riedl und Jasmin Skala. Arg ist der Text von Iris Grasel: “Mein Erlebnis im Spital”, eine Operationsodyssee mit dem lakonischen Fazit:

“Das Mödlinger Spital hat mich verpfuscht und ich mag das Spital nicht mehr. Ich rate jedem ab, der eine leichte Beeinträchtigung hat, dort hinzugehn.”

Literatur und Therapie, Emanzipation und Integration

Der Literaturpreis Ohrenschmaus hat primär die Funktion, Literatur zu küren, von AutorInnen, die ansonsten aufgrund ihrer Behinderung wohl weniger bis keine Öffentlichkeit bekommen würden.

Er hat auch therapeutische Funktion. Viele der Texte sind unter kunsttherapeutischer Anleitung entstanden. Das ist großartig, gut und wichtig, lässt einen aber auch über Authentizität, Lenkung, Zensur, Ehrgeiz von BetreuerInnen und Betreuten nachdenken. Der Text “Scheisse” von Reinhard Seisenbacher thematisiert die Produktionsbedingungen von Kunst in einer geschützten Werkstätte:

SCHEISSE!

Mein Bild wurde verändert, ich bin erschrocken,
ich ärgere mich,
vielleicht sollte ich mich nicht ärgern,
vielleicht sollte ich es auf die leichte Schulter nehmen.

Meine Bilder werden nicht verkauft, das setzt mich unter Druck,
andere Bilder gehen besser,
vielleicht sollte ich mich nicht unter Druck setzen lassen,
vielleicht darf ich nicht so kompliziert denken……

Und nicht zuletzt hat der Preis emanzipatorische und integrative Funktion. Er gibt Menschen mit Lernbehinderung Öffentlichkeit und ermuntert sie zur Mündigkeit. Und er gibt allen, die sich dafür interessieren, Einblick in Lebens- und Gedankenwelten, die ansonsten sehr abgeschottet von der Welt der “Normalen” sind.

Damit es den Ohrenschmaus auch dieses Jahr wieder geben kann, seien zum Schluss auch noch seine Sponsoren gelobt. Sie unterstützen einen wichtigen Preis!

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