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22. November 2007, von Beate Firlinger

Webtalk: Shadi Abou-Zahra über die Web Accessibility Initiative

In unserer losen Reihe der Webtalks ist diesmal Shadi Abou-Zahra zu Gast im MAIN_blog. Er leitet seit kurzem das International Program Office der Web Accessibility Initiative (WAI) und hat ein weites Aufgabengebiet, in dem es um Richtlinien, Standards, Techniken und Werkzeuge für barrierefreies Internet geht.

Der in Österreich lebende Webexperte ist in seiner Funktion viel im In- und Ausland unterwegs, um die Aktivitäten der WAI und den aktuellen Stand der internationalen Fachdiskussion vorzustellen. Übrigens hält Shadi Abou-Zahra am 26. November 2007 bei der Tagung Online ohne Ausnahme in Wien den Eröffnungsvortrag zum Thema „Web ohne Barrieren“.

Bei Veranstaltungen wird der Internationalist in Sachen Accessibility gerne gefragt, wann denn nun endlich die neuen Richtlinien WCAG 2.0 (Web Content Accessibility Guidelines) herauskommen. Wir haben ihm im Webtalk diese Diskussion über Termine erspart und andere Auskünfte eingeholt, die Einblick in sein berufliches Engagement gewähren:

1. Shadi, du bist sozusagen unsere Mann im virtuellen All des W3C und arbeitest für die Web Accessibility Initiative des World Wide Web Consortium. Wie können wir uns deine Tätigkeit genau vorstellen?

Meine Arbeit beim W3C ist vielfältig und verändert sich derzeit. Ich befasse mich dabei vor allem mit der Entwicklung von Inhalten und Materialien, um das allgemeine Verständnis für Web-Barrierefreiheit zu verbessern. Diese Ressourcen werden hauptsächlich durch die Zusammenarbeit in der Education and Outreach Working Group (EOWG) entwickelt. Das ist eine der zentralen Arbeitsgruppen der WAI, die Strategien und Materialien für die Web Community entwickelt, um den Bedarf an Accessibility bewusster zu machen und die Leute aufzuklären, dass sie barrierefreie Lösungen anwenden sollen. Beispiele für solche Ressourcen sind etwa Dokumente wie Introducing Accessibility, Managing Accessibility oder Evaluating Accessibility.

Sehr wichtige Aspekte in meiner Arbeit sind die Sensibilisierung, der Austausch und die Koordination mit verschiedenen Interessensgruppen, insbesondere in Europa. Beispielsweise geht es da um den Wissenstransfer mit EntwicklerInnen, ExpertInnen, und ForscherInnen, um die Sensibilisierung von EntscheidungsträgerInnen und der Öffentlichkeit und um die Koordination mit den Standardisierungsgremien und anderen Beteiligten. In letzter Zeit gab es international ja sehr viele Aktivitäten rund um die Web-Barrierefreiheit, sodass die Koordination immer wichtiger wird, um die Harmonisierung von Standards weiter zu verbessern.

Seit kurzem leite ich zudem das WAI International Program Office, das ist eine der zwei Abteilungen der WAI, die wiederum vier Arbeitsgruppen hat. Die zentrale Aufgabe der Abteilung ist es, die Verbindungen und Schnittstellen (in englisch nennt sich das: “Liaisons”) intern zu koordinieren und diese Verbindungen auch extern mit anderen Organisationen abzustimmen. Darunter fällt beispielsweise auch die Koordination des neuen Projektes WAI-AGE, das sich momentan im Aufbau befindet. Weiters kümmere ich mich um die Durchführung von Übersetzungen der WAI Ressourcen in verschiedene Sprachen und bin Vorsitzender der Evaluation and Repair Tools Working Group (ERT WG). Diese technische Arbeitsgruppe entwickelt derzeit ein Format, um den Austausch von Test Resultaten zwischen Evaluierungs- und Autorenwerkzeugen zu ermöglichen (EARL). Zusätzlich entwickelt die Arbeitsgruppe auch Testdaten für WCAG 2.0.

2. Derzeit wird ja noch intensiv an den neuen Richtlinien für Web Accessibility, den WCAG 2.0, getüftelt und gefeilt. Ohne jetzt auf technische Details einzugehen – was erwartest du dir von den Änderungen und wie würdest du die neuen Richtlinien technisch weniger versierten Menschen erklären?

Die neuen WCAG 2.0 Richtlinien sollen eine ganze Reihe von Problemen in der ersten Version beheben. Vor allem sollen die neuen Richtlinien klarer und eindeutiger sein. Die WCAG 2.0 Richtlinien sollen auch testbarer sein, so dass es messbare Kriterien gibt, um feststellen zu können, ob sie eingehalten wurden oder nicht. Um kurz ein Beispiel zu geben: Der WCAG 1.0 Checkpunkt 2.2. besagt, dass es zwischen Vorder- und Hintergrundfarben einen “ausreichenden Kontrast” geben soll, jedoch wird nicht festgelegt, wie viel Kontrast tatsächlich ausreichend ist, um diese Anforderung zu erfüllen. Im WCAG 2.0 wird für Farbkontraste eine konkrete Berechnung festgelegt, um ein klares Kriterium zu schaffen.

Neben der Optimierung der Richtlinien bezüglich ihrer Eindeutigkeit und Testbarkeit erfüllt das WCAG 2.0 die technologischen Anforderungen vom Web heutzutage. Zum Beispiel wird nicht mehr ausschließlich von HTML und CSS gesprochen, sondern auch andere Formate wie SVG, PDF oder Flash sollen durch die neuen Richtlinien angesprochen werden. Die Richtlinien wurden also so formuliert, dass sie allgemein die Bedienbarkeit und Interaktion mit Webinhalten beschreiben. Detailliertere “Techniken” beschreiben die Umsetzung der Richtlinien in konkrete Web Formate und Technologien.

Eine weitere wichtige Verbesserung der Richtlinien ist die Behandlung von Skripten. WCAG 1.0 hat eine eher negative Haltung gegenüber Skripten, weil es 1999, als die Richtlinien erschienen waren, wenig oder schlechte Unterstützung von Browsern und vor allem von assistierenden Technologien gegeben hat. Heute ist die Lage anders, Skripten können zumindest teilweise von assistierenden Technologien verarbeitet werden. In WCAG 2.0 werden Skripten durch eine Reihe von Richtlinien behandelt. Dabei wird parallel an WAI-ARIA gearbeitet, um eine einheitliche Technik für die Gestaltung von barrierefreien Skripten zu ermöglichen. Wir können uns also auf eine neue Generation von Richtlinien freuen.

3. Bei einschlägigen Veranstaltungen oder Diskussionen ist immer wieder eine Verunsicherung zu spüren und Kritik zu vernehmen. Es geht dabei um Fragen wie: Welche Standards und Levels sind einzuhalten, was bringen die Web Content Accessibility Guidelines 2.0, woran sollen wir uns denn nun orientieren? Mit welchen Argumenten würdest du diesen Vorbehalten den Wind aus den Segeln nehmen?

Es ist nicht zu leugnen, dass es derzeit ein großes Loch gibt und dass die neue Version der WCAG Richtlinien dringend benötigt wird. Jedoch bleibt das WCAG 1.0 weiterhin ein wichtiger und bedeutender Standard und sollte so lange als Ausgangspunkt verwendet werden, bis WCAG 2.0 verabschiedet wird. Aber obwohl WCAG 2.0 noch nicht verlässlich als Standard verwendet werden kann, heißt das nicht, dass man es nicht bereits jetzt teilweise vorausschauend in der Entwicklung einbinden kann. Zum Beispiel bietet WCAG 2.0 bereits jetzt viele Definitionen und Erklärungen, die für die Umsetzung von WCAG 1.0 sehr nützlich sein können. Vor allem bleibt man somit bestens gerüstet für die neue Version der Richtlinien.

Ein häufiger Fehler bei der Entwicklung ist, dass man sich zu sehr an der WCAG 1.0 Checkliste klammert, ohne ausreichend die Hintergründe zu verstehen. Barrierefreiheit ist qualitativ und kann daher nicht einfach durch eine Checkliste abgeklärt werden, sondern die Checkliste sollte den EntwicklerInnen eine Merkhilfe sein. Wer die Prinzipien und Konzepte der Barrierefreiheit versteht und umsetzt, wird eher den Anforderungen der End-BenutzerInnen (um die es ja schlussendlich geht) entsprechen. Wer sich hingegen stur an Checklisten orientiert, wird vermutlich mehr Änderungen vornehmen müssen, wenn eine neue Version der Richtlinien erscheint.

4. Wie du schon erwähnt hast, bist du aktuell auch am Aufbau des neuen W3C Projektes “WAI-AGE - Barrierefreies Internet für SeniorInnen” beteiligt. Worum geht es dabei?

Das Web Accessibility Initiative: Ageing Education and Harmonization (WAI-AGE) Projekt wird von der Europäischen Kommission finanziert und soll der Aufklärung und dem besseren Verständnis für die Bedürfnisse von SeniorInnen mit funktionalen Einschränkungen am Web dienen. Solche Einschränkungen können oft mit Behinderungen verglichen werden, nur sind diese zumeist progressiv und bleiben manchmal sogar unerkannt (im Vergleich dazu sind viele Behinderungen hingegen nicht progressiv). Dazu kommen oft noch andere Faktoren, etwa dass mehrere Einschränkungen zugleich eintreten, dass es schwierig ist, diese Einschränkungen anzuerkennen oder dass es an Bereitschaft und Geduld mangelt, sich mit Problemen und Lösungen zu befassen.

Das Ziel dieses Projektes ist es daher, die Erkenntnisse besser in den WAI Ressourcen zu behandeln und zu kommunizieren. Es ist noch unklar, welche Ressourcen genau davon betroffen sein werden, da wir momentan noch am Anfang stehen. Zunächst haben wir mit einer internen Recherche begonnen, um relevante Arbeiten und Forschungen zu diesem Thema zu sammeln. Die Arbeit dieses Projekts wird in Koordination mit der Education and Outreach Working Group (EOWG) durchgeführt, wo derzeit eine entsprechende Task Force - das ist eine Untergruppe mit engem Fokus - gegründet wird. Wie üblich werden wir alle Mitschriften, Resultate und Dokumente online stellen und freuen uns auf Kommentare und aktive Zusammenarbeit.

5. Du bist Spezialist für Web Accessibility geworden. Warum engagierst du dich beruflich für barrierefreies Internet? Was ist dein persönlicher Zugang zu diesem Bereich?

Web-Barrierefreiheit ist für mich eine Leidenschaft. Es verbindet meine akademische Ausbildung, meine beruflichen Karriere und meine persönliche Ideologie. Während meines Informatikstudiums an der TU-Wien hatte ich mich, mehr oder weniger unabsichtlich, als Betroffener vermehrt im Behindertenreferat der Hochschülerschaft engagiert. Dort habe ich nicht nur meine ersten Experimente mit barrierefreien Webseiten gemacht, sondern vor allem auch sehr viel gelernt, was das Eintreten für Menschen mit Behinderungen betrifft. Da gibt es eine Vielzahl an Unachtsamkeiten, Missverständnissen und leider manchmal auch Ausreden, die sich seitdem nicht geändert haben. Nur handelt es sich jetzt in meinen Beruf mehr um informationstechnologische Hindernisse.

Nach dem Studium habe ich als Webentwickler gearbeitet, zu Beginn jedoch nicht im Bereich Barrierefreiheit. Mit der Zeit habe ich verstärkt versucht, mein technisches Können und mein Wissen über Barrierefreiheit einzubringen. Tagtäglich erlebe ich als Rollstuhlfahrer unter anderem bauliche Hindernisse, die man nicht so einfach beseitigen kann. Aber im Web ist das ganz anders: Zum ersten Mal haben Menschen mit Behinderungen nahezu uneingeschränkte Möglichkeiten, an Informationen zu gelangen oder an der Gesellschaft teilzunehmen – wären da nicht diese unnötige Barrieren. Als Techniker kann ich gar nicht anders als zu versuchen, solche Probleme aus der Welt zu schaffen.

Dankeschön, Shadi, für diesen ausführlichen Webtalk.

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