United States Holocaust Memorial Museum
 

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TÖDLICHE MEDIZIN: DIE ERSCHAFFUNG DER HERRENRASSE

Von 1933 bis 1945 repräsentierte die von Adolf Hitler geführte Regierung des Dritten Reichs einen Nationalismus, der territoriale Expansion mit dem Anspruch der biologischen Überlegenheit („arische Herrenrasse“) und einem extremen Antisemitismus vereinte. Die Nazis folgten einer von deutschen Wissenschaftlern legitimierten rassistischen Ideologie und versuchten, alle europäischen Juden auszurotten. Im Holocaust ermordeten sie schließlich sechs Millionen Juden. Im Rahmen der Nazi-Kampagnen zur Reinigung der deutschen Gesellschaft von Personen, die als Bedrohung der „Volksgesundheit“ galten, wurden zahlreiche andere Menschen verfolgt und ermordet.


WISSENSCHAFT ALS RETTUNG: Eugenik in der Weimarer Republik, 1919–1933

Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und den darauf folgenden politischen und wirtschaftlichen Krisen der Weimarer Republik begann eine als Rassenhygiene oder Eugenik bezeichnete Idee, die Bevölkerungspolitik, die öffentliche Gesundheitsaufklärung und die von der Regierung unterstützte Forschung zu beeinflussen. Die Vertreter der Eugenik argumentierten, dass die moderne Medizin und kostspielige Sozialprogramme, die „Unwerte“ am Leben erhielten und es ihnen ermöglichten, sich zu vermehren, die natürliche Auslese behinderten – jenes Konzept, das Charles Darwin auf den Überlebenskampf im Tier- und Pflanzenreich angewandt hatte. Darüber hinaus heirateten Mitglieder der gebildeten, „überlebenswürdigen“ Klassen später und verwendeten Methoden zur Geburtenkontrolle, um die Familiengröße zu beschränken. Dies führte, nach Ansicht der Vertreter der Eugenik, zu einer allgemeinen biologischen „Entartung“ der Bevölkerung. Sie befürworteten deshalb sowohl „positive“ Regierungsmaßnahmen, wie Steuergutschriften zur Ermutigung großer „wertvoller“ Familien, als auch „negative“ Maßnahmen, wie die Sterilisierung genetisch „Minderwertiger“.

Zu den Befürwortern der Eugenik in Deutschland gehörten Ärzte, Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens und Aka demiker in biomedizinischen Fächern, sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite des politischen Spektrums. Experten, die Mitglieder von Regierungskomitees waren und im Bereich der Vererbungslehre forschten, warnten, dass die Nation vom Aussterben bedroht sei, wenn nicht mehr biologisch wertvolle Kinder produziert würden. Eine wachsende Gruppe verband Eugenik und Rasse und sah die langköpfige, blonde „nordische Rasse” als „eugenisch vorteilhaft“ an und betrachtete die „Rassenmischung“ als Quelle biologischer Entartung. In den zwanziger Jahren wurde die Eugenik Teil der Plattform und der Ideologie der anwachsenden NSDAP.

„DENKT MAN SICH GLEICHZEITIG… EIN SCHLACHTFELD BEDECKT MIT TAUSENDEN TOTER JUGEND… UND STELLT MAN IN GEDANKEN UNSERE IDIOTENINSTITUTE MIT IHRER SORGFALT FÜR IHRE LEBENDEN INSASSEN DANEBEN… IST MAN AUF DAS TIEFSTE ERSCHÜTTERT VON DIESEM GRELLEN MISSKLANG ZWISCHEN DER OPFERUNG DES TEUERSTEN GUTES DER MENSCHHEIT … UND DER GRÖSSTEN PFLEGE NICHT NUR ABSOLUT WERTLOSER, SONDERN NEGATIV ZU BEWERTENDER EXISTENZEN AUF DER ANDEREN SEITE.“
— KARL BINDING UND ALFRED HOCHE, DIE FREIGABE DER VERNICHTUNG LEBENSUNWERTEN LEBENS, LEIPZIG, 1920

Internationale Eugenik

Die deutschen Fürsprecher der Eugenik waren Teil eines internationalen Phänomens. Der englische Wissenschaftler Francis Galton prägte den Begriff Eugenik („gute Geburt“) im Jahre 1883. Die 1892 veröffentlichte Theorie des deutschen Biologen August Weissmann über das „unveränderliche Keimplasma“ stärkte die wachsende internationale Unterstützung für die Eugenik, ebenso wie die 1900 erfolgte Wiederentdeckung der Theorie des österreichischen Botanikers Gregor Mendel, dass die biologische Struktur der Organismen durch bestimmte „Faktoren“ bestimmt wurde, die später als Gene identifiziert wurden. (Der Begriff Gen wurde erstmals 1909 von einem dänischen Wissenschaftler verwendet).

Weltweit boten reformorientierte Vertreter der Eugenik biologische Lösungen für soziale Probleme an, die im Rahmen der Urbanisierung und Industrialisierung in vielen Gesellschaften auftraten. Nach der unter Verwendung damals üblicher wissenschaftlicher Methoden (Beobachtung, Familienstammbäume, körperliche Messungen und Intelligenztests) erfolgten Klassifizierung von Individuen in bestimmte Gruppen wurden die Gruppen von „hochwertig“ bis „minderwertig“ eingestuft. Nach der Vervollkommnung der chirurgischen Sterilisierung wurde diese am häufigsten als Mittel vorgeschlagen, um nicht produktive „Minderwertige“ an der Fortpflanzung zu hindern und Kosten für die Pflege und Erz iehung Behinderter einzusparen. Aber es gab nur geringe politische Unterstützung für Sterilisierungsmaßnahmen. Katholiken protestierten gegen den Eingriff in die menschliche Fortpflanzung, und Liberale kritisierten die Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Vor 1933 kam es nur in Dänemark zur Verabschiedung nationaler Gesetze, die eine „freiwillige“ Sterilisierung der Insassen von Gefängnissen und staatlichen Geistesheilanstalten legalisierten, doch wurden diese Gesetze selten angewandt. Die Eugeniker hatten mehr Erfolg, Sterilisierungsgesetze in einzelnen Provinzen, Kantonen oder Bundesstaaten in Kanada, der Schweiz und den Vereinigten Staaten durchzusetzen.


DER RASSENSTAAT: Nationalsozialistische Rassenhygiene, 1933-1939

Rudolf Hess, Hitlers Stellvertreter, sagte: „Nationalsozialismus ist nichts anderes als angewandte Biologie“. Während des Dritten Reichs bestimmte eine politisch extreme und antisemitische Variante der Eugenik das Vorgehen des Staates. Das Hitler- Regime ernannte die „nordische Rasse“ zum eugenischen Ideal und versuchte, Deutschland zu einer geschlossenen nationalen Gemeinschaft zu machen, die alle Personen ausschloss, die als erblich „minderwertig“ oder „rassenfremd“ erachtet wurden. Maßnahmen des Gesundheitswesens zur Kontrolle der Fortpflanzung und Ehe zielten darauf ab, den „Volkskörper“ durch die Eliminierung biologisch bedrohlicher Gene aus der Bevölkerung zu stärken. Zahlreiche deutsche Ärzte und Wissenschaftler, die vor 1933 rassenhygienische Ideen vertreten hatten, begrüßten die wic htige Rolle, die Biologie und Vererbung in diesem neuen Regime spielten, sowie die neuen Karrieremöglichkeiten und die zusätzlichen Finanzmittel für die Forschung.

WIR GEHEN NICHT VON DEM EINEN MENSCHEN AUS, WIR VERTRETEN NICHT DIE ANSCHAUUNG, MAN MUSS DIE HUNGERNDEN SPEISEN, DIE DURSTIGEN TRÄNKEN UND DIE NACKTEN BEKLEIDEN - DAS SIND FÜR UNS KEINE MOTIVE. . . . UNSERE MOTIVE SIND GANZ ANDERER ART: WIR MÜSSEN EIN GESUNDES VOLK BESITZEN, UM UNS IN DIESER WELT DURCHSETZEN ZU KÖNNEN.
— JOSEPH GOEBBELS, PROPAGANDAMINISTER, 1938

Die Hitlerdiktatur mit ihrer umfassenden Polizeigewalt brachte die Kritiker der nationalsozialistischen Eugenik und Vertreter individueller Rechte zum Schweigen. Nachdem die Nazis völlige Kontrolle über das Bildungs- und Kulturwesen sowie über die Medien erlangten, wurde die rassenorientierte Eugenik in der Gesellschaft und den Institutionen Deutschlands allgegenwärtig. Die als „rassenfremd“ betrachteten Juden wurden aus Universitäten, wissenschaftlichen Forschungsinstituten, Krankenhäusern und Gesundheitsämtern entlassen. Als „politisch unzuverlässig“ betrachteten Personen in hohen Stellungen ging es ähnlich.

Der Kampf um die Geburten

Die Nationalsozialisten folgten den Befürchtungen der Eugeniker und verbreiteten Warnungen von Bevölke rungsexperten über einen „Volkstod“ und versuchten, die fallenden Geburtenraten anzuheben. Das im Oktober 1935 verkündete Ehegesundheitsgesetz verbot Ehen zwischen „Erbgesunden“ und als genetisch ungeeignet betrachteten Personen. Heiraten und Kinder haben wurde eine nationale Pflicht für die „Erbgesunden“. In einer Rede am 8. September 1934 sagte Hitler: „In meinem Staat ist die Mutter die wichtigste Staatsbürgerin.“

Das Nazi-Regime folgte früheren eugenischen Befürchtungen über die Auswirkungen von Alkohol, Tabak und Syphilis und finanzierte Forschungsarbeiten, startete Kampagnen zur Öffentlichkeitsaufklärung und verabschiedete Gesetze, die das Ziel hatten, „genetische Gifte“ zu eliminieren, die mit Geburtsdefekten und genetischen Schäden an späteren Generationen assoziiert waren. Im Jahre 1936 wurde die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung gegründet, um Aktivitäten zu verhindern, die die Fortpflanzung behinderten. Im Jahre 1937 hielt der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, eine Rede, in der er Homosexualität mit der sinkenden Geburtenrate in Verbindung brachte, und sagte: „Ein gutrassiges Volk, das sehr wenig Kinder hat, besitzt den sicheren Schein für das Grab.“

Das Massensterilisierungsprogramm

Am 14. Juli 1933 erfüllte die Nazi-Diktatur die lang gehegten Träume der Verfechter der Eugenik und verkündete das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, das auf einem Gesetzesentwurf über die freiwillige Sterilisierung beruhte, den preußische Gesundheitsbeamte 1932 verfasst hatten. Mitverfasser des neuen Gesetzes waren Falk Ruttke, ein Rechtsanwalt, Arthur Gütt, ein Arzt und Leiter der Abteilung „Volksgesundheit“ im Reichsinnenministerium, sowie Ernst Rüdin, ein Psychiater und früher Anführer der deutschen Rassenhygienebewegung. Unter dieses Gesetz fielen Männer und Frauen, die an einer der folgenden neun, als erblich eingestuften Krankheiten „litten“: angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, manisch-depressive Störung, erbliche Fallsucht (Epilepsie), Chorea Huntington (eine zum Tode führende Gehirnerkrankung), erbliche Blindheit, erbliche Taubheit, schwere erbliche körperliche Missbildung und chronischer Alkoholismus.

Spezielle Erbgesundheitsgerichte verliehen den Sterilisierungsmaßnahmen den Anschein der Rechtsstaatlichkeit, aber die Entscheidung zur Sterilisierung wurde meist routinemäßig getroffen. Fast alle bekannten Genetiker, Psychiater und Anthropologen fungierten bisweilen an derartigen Erbgesundheitsgerichten und ordneten die Sterilisierung von schätzungsweise 400.000 Deutschen an. Bei Männern wurde üblicherweise eine Vasektomie durchgeführt und bei Frauen eine Tubenligatur, ein invasives Verfahren, das zum Tode von Hunderten von Frauen führte.

Die Reaktion des Auslands

Die internationale Reaktion auf das Nazi-Sterilisierungsgesetz war unterschiedlich. In den Vereinigten Staaten verwiesen manche Zeitungen auf den massiven Umfang der Maßnahmen und befürchteten, dass die Nazis das Gesetz auf Juden und politische Gegner anwenden würden. Im Gegensatz hierzu betrachteten amerikanische Eugeniker das Gesetz als die logische Weiterentwicklung früherer Ideen der „besten Spezialisten“ Deutschlands, und nicht als die „eilige Improvisation des Hitler- Regimes“.

In den dreißiger Jahren hatten führende amerikanische und britische Genetiker die etablierten eugenischen Verbände zunehmend kritisiert, da diese oft Vorurteile mit einer veralteten und simplistischen Auffassung der Vererbung beim Menschen vermischten. Gleichzeitig aber wurden Sterilisierungsmaßnahmen auch außerhalb eugenischer Kreise als Mittel zur Senkung der Kosten für Heilanstalten und Armenfürsorge unterstützt. Während der Weltwirtschaftskrise stieg die Zahl der Sterilisierungen in manchen amerikanischen Staaten, und während dieser Periode wurden neue Gesetze in Finnland, Norwegen und Schweden verabschiedet. In Großbritannien wurde ein entsprechendes Gesetz durch Opposition der Katholiken verhindert. Nirgendwo näherte sich die Anzahl der sterilisierten Personen dem Umfang des Nazi-Programms.

ICH BEZEICHNE... NICHT DAS JUDENTUM IM GANZEN ALS MINDERWERTIG WIE ETWA NEGER. . . UND ICH UNTERSCHÄTZE NICHT DEN GRÖSSTEN FEIND, DEN ES ZU BEKÄMPFEN GILT. ABER ICH LEHNE IHN MIT ALLEN MITTELN UND RÜCKHALTLOS AB.“
— EUGEN FISCHER, ANTHROPOLOGE, 20. JUNI 1939

Die Segregierung der Juden

Die Sterilisierung als „rassenfremd“ definierter ethnischer Minderheiten wurde von dem Gesetz aus dem Jahre 1933 nicht vorgeschrieben. Stattdessen stellte das am 15. September 1935 in Nürnberg verkündete „Blutschutzgesetz“ die Ehe oder sexuelle Beziehungen zwischen Juden und nichtjüdischen Deutschen unter Strafe. Bald darauf gingen die führenden Nazis in der Rassentrennung einen Schritt weiter und diskutierten im Privaten die „völlige Emigration“ aller Juden als Endziel. Nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 koordinierte der SS-Offizier Adolf Eichmann die Zwangsemigration von Zehntausenden österreichischer Juden. Die von den Nazis am 9./10. November 1938 in der so genannten Reichskristallnacht organisierten Pogrome gegen deutsche und österreichische Juden und deren Besitztümer überzeugten viele der im Reich verbliebenen Juden, dass die Emigration ihre einzige Überlebenschance darstellte.


ENDLÖSUNGEN: Tödliche Rassenhygiene, 1939-1945

Der Zweite Weltkrieg bot sowohl den Vorwand als auch den Deckmantel für neue Programme zur Ermordung „Unerwünschter“, die als Belastung der nationalen Ressourcen betrachtet wurden. Die Nazis verwendeten Argumente, die bereits von Ärzten und Juristen der zwanziger Jahre vorgebracht worden waren, um Mord als Euthanasie („Gnadentod“) zu rechtfertigen. Sie wurden dabei von Hunderten von Leitern von Heilanstalten, Kinderärzten, Psychiatern, Familienärzten und Krankenschwestern unterstützt. Viele, die früher gegen die Euthanasie als eugenische Maßnahme gewesen waren, unterstützten jetzt diese Morde „für das Wohl des Vaterlands“.

Die ersten Opfer waren deutsche Säuglinge und Kinder. Das Reichsinnenministerium befahl Hebammen und Ärzten, alle Kinder mit schweren Geburtsfehlern zu melden. Drei Gutachter bewerteten jeden Fall und wählten jene aus, die getötet werden sollten, meist ohne die potenziellen Opfer gesehen zu haben. Die Behörden täuschten die Familien der Kinder, indem falsche Todesursachen angegeben wurden. Zwischen 1939 und 1945 wurden über 5.000 Jungen und Mädchen in etwa 30 speziellen Kinderfachabteilungen in staatlichen Krankenhäusern und Kliniken umgebracht.

Massenvergasungen: Operation T-4

Nachdem Hitler im Oktober 1939 den „Gnadentod“ für als unheilbar betrachtete Patienten autorisierte, wurde das Mordprogramm von Kindern auf Erwachsene ausgedehnt. Operation T-4 – der Name bezog sich auf die Adresse des Hauptquartiers des Geheimprogramms in der Tiergartenstraße 4 in Berlin – zielte vor allem auf erwachsene Patienten in privaten, staatlichen und kirchlichen Institutionen ab. Personen, die als nicht produktiv eingestuft wurden, waren besonders gefährdet. Von Januar 1940 bis August 1941 wurden über 70.000 Männer und Frauen an eine der sechs mit speziellem Personal ausgestatteten Einrichtungen in Deutschland und Österreich transportiert und in zum Schein als Duschen ausgestattete Gaskammern durch Kohlenmonoxidvergiftung getötet. Da die Öffentlichkeit allmählich von diesen Morden erfuhr und unruhig wurde, ließ Hitler das Vergasungsprogramm einstellen. Die Euthanasiemorde gingen aber unter anderem Deckmantel weiter; so ermordete man im ganzen Land Patienten in Krankenhäusern und Heilanstalten durch „Hungerkost“ und Überdosierung von Medikamenten. Zwischen 1939 und 1945 starben schätzungsweise 200.000 Menschen durch die verschiedenen Euthanasieprogramme.

Rassenhygiene im besetzten Polen

Während im Deutschen Reich die geheimen Euthanasieprogramme durchgeführt wurden, terrorisierten oder eliminierten Mitglieder der von Heinrich Himmler geleiteten SS im besetzten Polen alle, die sie als rassische Bedrohungen betrachteten. Himmler, der von Hitler den Auftrag erhalten hatte, eine radikale ethnische Umstrukturierung Polens durchzuführen, wollte aus Polen eine Nation von Handarbeitern machen, die ihren deutschen „Herren“ dienten. Die Nazi-Pläne sahen die Eliminierung der politischen und intellektuellen Führung Polens durch Massenhinrichtungen oder Haft vor, sowie die Deportierung von Polen, Juden und „Zigeunern“ (Sinti und Roma) aus in das Reich eingegliederten Gebieten, die Kolonisierung durch umgesiedelte Deutsche, und die „Germanisierung“ der „rassisch wertvollen“ Polen. Hunderte von in Rassenhygiene geschulten Experten halfen dabei, Zehntausende von Personen auf ihre genetische und rassische „Eignung“ hin zu untersuchen.

Die Deutschen verachteten vor allem polnische und osteuropäische Juden als „Untermenschen“. Von Herbst 1939 bis Sommer 1941 sammelten die Nazis etwa zwei Millionen Juden in kleinen und großen Städten und zwangen sie dann in abgetrennte Bereiche oder Ghettos. Hinter der Idee, Juden in Warschau und anderen Städten in abgesperrte Ghettos zu sperren, standen unter anderem deutsche Gesundheitsbeamte, die fälschlicherweise Juden mit der Verbreitung von Typhus und anderen Krankheiten assoziierten.

Massenvergasungen von Juden

Die Rassenhygiene der Nazis erreichte mit der fast vollständigen Vernichtung des europäischen Judentums ihren Höhepunkt. Die „Endlösung der Judenfrage“ begann, als Einsatzgruppen der SS und der Polizei den deutschen Streitkräften in die Sowjetunion folgten und durch Erschießungen unter freiem Himmel über eine Million Juden ermordeten. Die psychologische Belastung, Männer, Frauen und Kinder aus nächster Nähe zu erschießen, brachte aber den Reichsführer SS, Heinrich Himmler, dazu, eine „sauberere“ und „effizientere“ Tötungsmethode zu suchen. Er nahm das Euthanasie-Mordprogramm zum Vorbild, und so wurde die Vergasung in viel größerem Umfang eingeführt.

Fast zwei Millionen Menschen, meist polnische Juden, wurden nach Chelmno und Sobibor, Treblinka und Belzec (isolierte SS-Lager im annektierten und besetzten Polen) transportiert und dort ermordet, wobei vom Programm T-4 abgezogenes Personal die Gaskammern und Krematorien betrieb. In Auschwitz-Birkenau kamen über eine Million Juden, die aus von Deutschland kontrollierten Ländern deportiert worden waren, ums Leben. Nazi-Ärzte wählten „geeignete“ Erwachsene zur Zwangsarbeit aus, die nur einen zeitweiligen Aufschub darstellte, und sie verwendeten sowohl Erwachsene wie auch Kinder als Versuchsobjekte bei eugenischen Sterilisierungsexperimenten und im Lager durchgeführten genetischen Forschungsprojekten.

Nach dem Krieg wurden wenige der biomedizinischen Experten, die in unterschiedlichen Ausmaßen dabei geholfen hatten, die Rassenhygienemaßnahmen der Nazis zu implementieren und zu rechtfertigen, je vor Gericht gestellt oder irgendwie für ihre Aktionen moralisch in Rechenschaft gezogen. Viele setzten ihre beruflichen Laufbahnen fort.




 

 

PROFILE VON ÄRZTEN UND WISSENSCHAFTLERN

<< Dr. Carl Clauberg   << Dr. Eugen Fischer   << Dr. Julius Hallervorden   << Dr. Fritz Lenz   << Dr. Josef Mengele   << Dr. Paul Nitsche   << Dr. Robert Ritter   << Dr. Ernst Rüdin   << Dr. Otmar von Verschuer   << Dr. Ernst Wentzler   

 
Dr. Carl Clauberg
Am Anfang seiner Karriere in der gynäkologischen Forschung untersuchte Carl Clauberg Methoden, um unfruchtbaren Frauen zu helfen, schwanger zu werden. 1943 und 1944 führte er mit Genehmigung des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, in Auschwitz Experimente zur Entwicklung einer Massensterilisierungsmethode durch. Seine Versuchsobjekte waren 700 meist jüdische Frauen, und er injizierte Giftstoffe in die Gebärmutter, was zu schweren Schmerzen und manchmal zum Tode führte. Er führte auch Experimente an Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück durch.

[NACHKRIEGSPROZESSE] Clauberg wurde von sowjetischen Behörden festgenommen, vor Gericht gestellt und für seine Verbrechen im Rahmen der Sterilisierungsexperimente in den Konzentrationslagern zu 25 Jahren Haft verurteilt. Er wurde 1955 im Rahmen des deutsch-sowjetischen Abkommens zur Repatriierung deutscher Kriegsgefangener freigelassen. Clauberg wurde von der deutschen Polizei wieder verhaftet und starb 1957 vor Prozessbeginn.

„DIE ZEIT IST NICHT ALLZU FERN, WENN VON EINEM ENTSPRECHEND EINGEÜBTEN ARZT … MIT VIELLEICHT 10 MANN HILFSPERSONAL … HÖCHSTWAHRSCHEINLICH MEHRERE HUNDERT - WENN NICHT GAR TAUSEND - AN EINEM TAGE STERILISIERT WERDEN KÖNNEN.“
— DR. CARL CLAUBERG ZU REICHSFÜHRER SS HEINRICH HIMMLER, 7. JUNI 1943





 

 
 
Dr. Eugen Fischer
Fischer war von 1927 bis 1942 Leiter des Kaiser-Wilhelm- Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik und hatte 1913 eine Studie über Mischlingskinder von holländischen Männern und Hottentotten-Frauen in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) veröffentlicht. Fischer war gegen die „Rassenmischung“, hielt „Negerblut“ für „minderwertig“ und warnte, dass dessen Mischung mit „weißem Blut“ das Ende der abendländischen Kultur bedeuten würde. Nach 1933 unterstützte Fischer mit den Aktivitäten seines Instituts die antisemitischen Maßnahmen der Nazis. Er unterrichtete Kurse für SS-Ärzte, diente als Richter am Berliner Erbgesundheitsgericht und erstellte Hunderte von Gutachten über die Vaterschaft und „Rassenreinheit“ von einzelnen Personen, einschließlich der als „Mischlinge“ bezeichneten Kinder jüdischer und nichtjüdischer deutscher Eltern.

[NACHKRIEGSKARRIERE] Fischer ging 1942 als Leiter des Kaiser-Wilhelm- Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in den Ruhestand. Nach dem Krieg bemühte er sich, vielen seiner früheren Studenten (darunter Otmar von Verschuer) Professuren zu verschaffen. Als emeritierter Professor an der Universität Freiburg hielt Fischer weiterhin Vorlesungen und veröffentlichte Artikel in anthropologischen Fachzeitschriften. Er starb 1967.




 

 
 
Dr. Julius Hallervorden
Hallervorden, ein angesehener Neuropathologe und Leiter der Abteilung für Histopathologie am Kaiser-Wilhelm- Institut für Hirnforschung in Berlin, erhielt Hunderte von Gehirnen der Opfer der „Euthanasie“. Viele davon waren in der Klinik in Brandenburg-Görden getöteten Kindern entnommen, und mindestens in einem Fall entnahm Hallervorden selbst das Gehirn. Später beschrieb er diese Exemplare einem Kollegen gegenüber als „wunderbares Material ... Schwachsinn, Missbildungen und frühkindliche Krankheiten.“

[NACHKRIEGSKARRIERE] Nach dem Krieg erhielt Hallervorden eine Stelle in der neurologischen Forschung am Max-Planck-Institut in Berlin. Im Hirnforschungsinstitut in Frankfurt wurden Hallervordens Proben, einschließlich von Gehirnen, bis 1990 zu Forschungszwecken verwendet, bis sie in einem Friedhof in München begraben wurden.




 

 
 
Dr. Fritz Lenz
Lenz, ein medizinisch ausgebildeter Genetiker, war nach 1933 Leiter der Abteilung für Rassenhygiene am Kaiser-Wilhelm- Institut in Berlin und Mitglied des „Sachverständigenbeirats für Bevölkerungs- und Rassenpolitik“, der die eugenischen Gesetze der Nazis unterstützte. Bereits 1917 hatte Lenz Deutschlands Zukunft in einer Expansion im Osten gesehen. Lenz betrachtete die Slawen als ein unerwünschtes Rassenelement, das drohte, das „überlegene [deutsche] Volk zu überrennen“ und riet der SS im Jahre 1940: „Die Umsiedlung in den Osten ist … die wichtigste und verantwortungsvollste Aufgabe der Rassenpolitik. Sie wird den Rassencharakter der dort lebenden Bevölkerung auf Jahrhunderte hinaus bestimmen.“

[NACHKRIEGSKARRIERE] Von 1946 bis 1957 war Lenz Leiter des Instituts für Menschliche Erblehre an der Universität Göttingen. Er veröffentlichte bis in die 70er Jahre. Lenz starb 1976.




 

 
 
Dr. Josef Mengele
Mengele, der Doktortitel in Anthropologie und medizinischer Genetik besaß, arbeitete 1941 in der genealogischen Abteilung des Rasse- und Siedlungshauptamts der SS in Posen, wo er die Erb- und Rassenreinheit von Personen prüfte. Im Jahre 1942 meldete er sich zur Waffen-SS und wurde im Kampf verwundet. Nachdem er 1943 nach Auschwitz kam, führte er, abwechselnd mit anderen SS-Ärzten, an den Entladerampen Selektionen durch und schickte Juden in die Gaskammern. Mengele führte auch Experimente an jüdischen und Roma-Zwillingen durch. Er tötete einige seiner Forschungsobjekte oder ließ sie töten, um deren Organe zu Forschungszwecken entnehmen zu lassen.

[FLUCHT IN DER NACHKRIEGSZEIT] Mengele wurde nach Kriegsende aus einem USKriegsgefangenenlager entlassen und floh ins Ausland. Der Anthropologe und Genetiker, der in Auschwitz Experimente an Zwillingen und anderen Opfern durchführte, verbarg sich bis zu seinem Tod im Jahre 1979 in Argentinien und Brasilien.




 

 
 
Dr. Paul Nitsche
Nitsche, ein bekannter Psychiater und Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene, vereinte die Befürwortung der Behandlung, einschließlich der Beschäftigungstherapie und der Elektroschocktherapie für „besser geeignete“ Patienten mit einer Befürwortung des „Gnadentods“ für „Unheilbare“. Nitsche war seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP und diente als stellvertretender Leiter und dann als Leiter der Organisation T-4, die Patienten für die Überstellung in T-4-Einrichtungen auswählte.

[NACHKRIEGSPROZESSE] Im Jahre 1947 wurde Nitsche in Dresden von ostdeutschen Behörden wegen seiner Verbrechen im Rahmen des Euthanasieprogramms „T-4“ vor Gericht gestellt. Der Psychiater wurde zum Tode verurteilt und 1948 hingerichtet.




 

 
 
Dr. Robert Ritter
Die größte Studie von Sinti und Roma wurde von Dr. Robert Ritter durchgeführt, einem Kinderpsychologen und Spezialisten für Jugendkriminalität. Ritter und seine Mitarbeiter nahmen Körpermessungen vor, entnahmen Blutproben und erstellten ausführliche Stammbäume von Sinti und Roma in Gefängnissen, Konzentrationslagern und ihren eigenen Siedlungen. Ritters Index der Sinti- und Roma- Bevölkerung wurde später von der SS dazu verwendet, Zigeuner für den Abtransport ins KZ Auschwitz-Birkenau zu verhaften.

[NACHKRIEGSKARRIERE] nach dem Krieg war Ritter als Psychiater beim Gesundheitsamt Frankfurt angestellt. Anklagen überlebender Sinti und Roma veranlassten den örtlichen Staatsanwalt dazu, eine Untersuchung der Aktivitäten Ritters zu starten. Der Prozess wurde 1950, also nach zwei Jahren, aufgrund unzureichender Beweislage geschlossen. Ritter starb 1951.




 

 
 
Dr. Ernst Rüdin
Rüdin, einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Psychiatrie, Genetik und Eugenik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, begann seine Karriere in der Psychiatrie in München. Er legte eine umfangreiche Sammlung von Patientenstammbäumen an und kam zu der Schlussfolgerung, dass Geisteskrankheiten genetisch bedingt seien und deshalb vorausgesagt und durch Sterilisierung verhütet werden konnten. Im Jahre 1931 wurde er Leiter des staatlichen Kaiser-Wilhelm- Instituts für Psychiatrie in München. Da Rüdin die wachsende Zahl der geistig „Ungeeigneten“ als eine entscheidende Gefahr für Deutschland betrachtete, half er bei der Ausarbeitung des Nazi-Sterilisierungsgesetzes („Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“) und verfasste dessen offiziellen Kommentar.

[NACHKRIEGSKARRIERE] Rüdin gab an, ein Wissenschaftler und kein Politiker gewesen zu sein und wurde bei der Entnazifizierung als Mitläufer eingestuft. Der Psychiater, der an der Ausarbeitung des Massen-Sterilisierungsgesetzes der Nazis beteiligt gewesen war, starb 1952 im Ruhestand.




 

 
 
Dr. Otmar von Verschuer
Als Leiter der Abteilung für menschliche Erblehre des Kaiser-Wilhelm-Instituts untersuchte der Arzt und Genetiker von Verschuer Hunderte von Zwillingspaaren, um festzustellen, ob kriminelle Neigungen, Schwachsinn, Tuberkulose und Krebs vererbbar seien. Im Jahre 1927 empfahl der die Zwangssterilisierung der “geistig und moralisch Minderwertigen.“ Von Verschuer, der Mitglied eines der ultranationalistischen Freikorps gewesen war, war typisch für jene Akademiker, deren Forschungen von ihrem Interesse an Deutschlands „nationaler Erneuerung“ motiviert wurden.

[NACHKRIEGSKARRIERE] Von Verschuer wurde von den Alliierten 1946 kurz interniert. Im Jahre 1951 nahm der berühmte Experte für Zwillingsforschung einen Ruf an die Universität Münster an, wo er eine der größten Forschungsstätten für Humangenetik in Westdeutschland einrichtete. Er ging 1965 in den Ruhestand und starb 1969.




 

 
 
Dr. Ernst Wentzler
Wentzlers Kinderklinik in Berlin betreute zahlreiche wohlhabende Familien sowie hohe NSDAP-Funktionäre wie Generalfeldmarschall Hermann Göring. Obwohl Wentzler Methoden zur Behandlung von Frühgeburten oder Kindern mit schweren Geburtsdefekten entwickelt hatte (darunter einen als Wentzler-Wärmer bezeichneten Inkubator), war er auch dafür, das Leben „unheilbar Kranker“ zu beenden. Von 1939 bis 1945 war Wentzler einer der Koordinatoren des Kindereuthanasieprogramms, bewertete Patientendaten und ordnete die Tötung von mehreren Tausend Kindern an.

[NACHKRIEGSKARRIERE] Im August 1945 verließ Wentzler Berlin und kehrte in seine Heimatstadt zurück, wo er als Kinderarzt tätig blieb. Er wurde häufig vor Gericht über seine Rolle im Kindereuthanasieprogramm befragt, aber nie förmlich angeklagt. Wentzler starb 1973.