Kahlschlag bei Nachtzügen Kahlschlag bei Nachtzügen stößt auf Protest
Thomas Wüpper, 15.09.2014 08:42 UhrBerlin - Es ist ein positives Ergebnis, das die Deutsche Bahn dennoch verschweigt. Im April ließ Konzernchef Rüdiger Grube viele Fahrgäste der Nachtzüge befragen. Es gab zwar Klagen über mangelnde Pünktlichkeit und Qualität, aber die Umfrage zeigte vor allem, welch treues Stammpublikum die rollenden Hotels auf Schienen haben. Nur jeder vierte Fahrgast würde einen anderen Zug nutzen, wenn sein Nachtzug wegfiele. Der Konzern würde also Kunden verlieren. Eine Sprecherin mag die Ergebnisse weder bestätigen noch dementieren. „Richtig ist, dass Nachtzüge bei vielen Kunden beliebt sind, deshalb wollen wir das Angebot soweit möglich erhalten“, heißt es. Die Angebote seien aber teils „große Verlustbringer“.
Wie berichtet, will die Bahn deshalb alle Autozüge, zu denen auch Schlafwagen gehören, komplett einstellen und das Nachtzugnetz der 17 „City-Night-Line“-Verbindungen radikal ausdünnen. Die Züge sind teils veraltet; deren Austausch wurde immer wieder verschoben. Am 25. September wollen Beschäftigte der betroffenen Bahntochter European Railservice GmbH (DB ERS) vor der Bahnzentrale in Berlin gegen die Rotstiftpläne protestieren. Die ERS organisiert als Tochter der DB Fernverkehr bis jetzt den technischen Betrieb der Auto- und Nachtzüge, den Fahrkartenvertrieb sowie die Dienstleistungen der fahrenden Hotels.
Mit dem schleichenden Abbau der Zugangebote wurden in den letzten Jahren schon einige der vormals mehr als 500 Stellen gestrichen, Niederlassungen geschlossen und Mitarbeiter nach Berlin verlagert. Nun soll im Dezember die vormalige ERS-Zentrale in Dortmund ganz aufgegeben werden, wie eine Bahnsprecherin der StZ auf Anfrage bestätigte. Direkt betroffen seien rund 100 Mitarbeiter, denen Ersatzjobs im Bundesgebiet angeboten würden.
Verkehrsexpertin: Das System Schiene wird infrage gestellt
Die Linkspartei befürchtet, dass die Streichpläne insgesamt mehr als 1000 Jobs kosten könnten. Die Bundestagsfraktion will im Parlament eine Debatte erreichen. In einem Gruppenantrag (Drucksache 18/2494) fordert die Verkehrsexpertin Sabine Leidig, dass der Bund als alleiniger Bahn-Eigentümer darauf hinwirkt, dass die in diesem Jahr bereits vollzogenen Kürzungen bei Auto- und Nachtzügen zurückgenommen werden. Stattdessen soll ein zweijähriges Moratorium gelten, in dem durch eine Studie von Experten Alternativen geprüft werden. Ziel müsse sein, eine „nachhaltige Reisekultur in Europa zu fördern“ und dafür transnationale Verbindungen auszubauen statt einzustellen, fordern die Abgeordneten. Nachtzüge gebe es in Deutschland seit 162 Jahren, Autozüge seit fast 60 Jahren. Beide seien feste Bestandteile des Angebots. Es gehe um Verkehrsbedürfnisse der Allgemeinheit, für deren Wohl laut Grundgesetz der Bund zuständig sei.
Die Zerstörung immer weiterer Bestandteile stelle das System Schiene insgesamt infrage, warnt Sabine Leidig. Entgegen den offiziellen Darstellungen der Bahn seien die Nachtzüge weiter sehr gefragt, betont die Verkehrsexpertin unter Verweis auf Angaben von ERS-Betriebsräten. Demnach sei die Fahrgastzahl seit 2009 um fast ein Fünftel gestiegen, die Auslastung hoch und viele Züge seien lange vor Abfahrt ausgebucht – und das trotz des Abbaus von Kapazitäten und Qualität und zu geringen Investitionen. Verwiesen wird zudem auf eine – von der Bahn selbst in Auftrag gegebene – Studie der International Union of Railways (UIC), die dem Nachtzugverkehr großes Potenzial bescheinige, besonders auch auf den neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken. So könne die Fußball-EM 2020, die in 13 Ländern stattfinden soll, ein Fixpunkt für den Aufbau eines modernen Nachtzugsystems als Alternative zu klimaschädlichen Flügen sein.
Auch der Fahrgastverband Pro Bahn kritisiert, dass der Staatskonzern die Chancen des Nachtzugverkehrs bisher zu wenig genutzt habe. Besonders beim Service im Zug und der Pünktlichkeit gebe es große Probleme, sagte der Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann der StZ. Bei einem Treffen von Verantwortlichen des Schienenkonzerns mit Verbraucherverbänden hatte Naumann aber den Eindruck, dass zumindest ein Kernnetz von Nachtzügen in Deutschland zwischen den großen Städten erhalten bleiben soll. Die Hälfte des Wagenparks werde wegen Überalterung und Mängeln aber aussortiert. „Deshalb sollen vor allem internationale Verbindungen zum Beispiel nach Frankreich wegfallen, wo zudem hohe Trassen- und Abstellgebühren die Nachtzüge unwirtschaftlich machen“, berichtet Naumann von den Gesprächen mit der Bahn.
Falsches Datum
Der Protest der Beschäftigten in Berlin findet bereits am 24.9. statt, ab 14 Uhr auf dem Potsdamer Platz! Nähere Informationen gibt es unter www.autoreisezuege-haben-zukunft.de und auf der Stuttgarter Montagsdemo am 22. September. Bisher haben rund 5.000 Fahrgäste schriftlich gegen den Kahlschlag bei Nacht- und Autozügen protestiert, und bei fünf Online-Petitionen in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden haben bisher fast 12.000 Menschen unterzeichnet. Niemand von ihnen versteht, warum ein beliebtes Zugsystem, das die höchste Kundenzufriedenheit aller DB-Sparten aufweist, so stiefmütterlich behandelt wird. Und wer mehrere Milliarden im Stuttgarter Untergrund versenken will, kann wohl kaum behaupten, dass neue Schlaf- und Liegewagen zu teuer wären.
Ende von AZ und NZ
Es ist nicht unbedingt die Autolobby, die das Ende der Autozüge (AZ) und Nachtzüge (NZ) herbeigebracht hat. Vielmehr ist es das Desinteresse und die Unfähigkeit des DB-Konzerns, ein passendes Angebot für diese Bereiche auf die Beine zu stellen und zu vermarkten. Dazu kommt im internationalen Verkehr eine gehörige Portion Kleinstaaterei im Europa des 21. Jahrhunderts. Beispiel AZ: Systematisch wurden Autoverladestationen wie Kornwestheim oder Lindau stillgelegt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie schier endlose Autozüge in Kornwestheim gestanden sind. So schlecht kann die Auslastung nicht gewesen sein. Ein Schwachpunkt ist es sicher auch, dass die Autoverladung meist in den Vororten der Großsstädte erfolgt (z.B. Neu-Isenburg, Kornwestheim) so dass ein System wie in Österreich, wo die Autowagen an normale IC/Nachtzüge angehängt werden, von vorn herein behindert wird. Dazu kommen horrende Preise, wie z.B. den bald endenen Zug nach Kroatien, wo man leicht mal einen vierstelligen Betrag für Hin- und Rückfahrt hinblättern musste. Ebenso die Nachtzüge, wo gefühlt gut ausgelastete Züge wie Stuttgart - Dresden eingestellt wurden. Für beide, AZ und NZ, kommt erschwerend hinzu, dass das Wagenmaterial seinem Ende entgegen sieht und eine Neuanschaffung nicht in die Gewinnziele der DB passt. Zudem entschärfen die entfallenen Züge den Lokmangel bei der DB. Ich frage mich immer wieder, weshalb es in Zeiten vor Schengen, Länderbahn, Kalter Krieg etc. möglich war, (Nacht-)Züge durch ganz Europa zu schicken, im vereinten Europa des 21. Jahrhunderts aber nicht mehr.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt...
Und wieder zeigt sich die unbegrenzte Macht der Automobil-Lobby: Autozüge werden gestrichen, demzufolge werden noch mehr Autos auf der Straße fahren. Nachtzüge werden gestrichen, die Folge ist, daß noch mehr Bahnfahrer auf Fernbusse oder PKW umsteigen werden. Zahlreiche Autobahnen müssen erweitert bzw. neu gebaut werden, um den steigenden Verkehr zu bewältigen. Dies bedeutet, es werden noch mehr LKW zum Bau benötigt. Leistungsfähige Bahnhöfe werden zurückgebaut, demzufolge werden noch mehr Bahnfahrer auf Fernbusse und PKW umsteigen. Sowohl PKW, als auch Fernbusse und LKW werden von der Automobilindustrie produziert, jeder Rückbau des Schienenverkehrs ist also mit einem massiven Gewinn in diesem Bereich verbunden. Auf dem Stuttgarter Bahnhofsturm prangt übrigens weithin sichtbar das Symbol dieser mächtigen Automobil-Lobby im Lande. Einige Bahnvorstände waren vor Ihrer Tätigkeit bei der Bahn in eben diesem Automobilkonzern beschäftigt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Die 238. Montagsdemo am 15. September 2014 ab 18 Uhr findet auf dem Stuttgarter Marktplatz statt. Herzliche Einladung!!!
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